Von Santa Cruz nach Paraguay

Ziemlich spontan buchen wir am Tag von Max Rückkehr von der Huayna Potosi Besteigung für den nächsten Tag noch einen Flug nach Santa Cruz im Osten Boliviens. Eigentlich haben wir geplant den 18 Stunden Nachtbus zu nehmen, aber eine Straßenblockade aufgrund eines Streiks (wie immer) macht die Strecke momentan unpassierbar. Alle 24 Stunden wird die Sperrung wohl für zwei Stunden aufgehoben, aber keiner weiß genau wie und wann. Das Risiko bei einer bereits so schon langen Fahrt noch zusätzlich im schlimmsten Fall Stunden vor der Blockade festzuhängen, ist uns zu hoch. So entscheiden wir uns Zähne knirschend für den Flug. Immerhin finden wir ein gutes Angebot.

Wir fahren also am nächsten Tag mit dem Microbus quer durch La Paz zum Flughafen. Das geht ziemlich gut und anschließend erwartet uns ein entspannter Inlandsflug. Beim Abflug sehen wir El Alto und La Paz von oben. Hier kann man nochmal richtig sehen, dass La Paz mitten in den Anden in einen Talkessel gezwängt ist. Die Anden sehen von oben genau so beeindruckend aus, wie von unten und wir genießen unseren ersten Flug über die hohen Anden. Die vom Pilot bereits beim Start angekündigten Turbulenzen aufgrund der Jahreszeit bleiben aus. Nun heißt es für uns endgültig Abschied nehmen von den Anden. Die Anden sind für viele Sinnbild für Südamerika und auch uns haben die Anden in ihren Bann gezogen. Noch nie haben wir so eine beeindruckende Landschaft gesehen, die sich auch noch durch so viele unterschiedliche Länder zieht. Besonders faszinierend ist, dass die Anden nicht einfach nur Gebirgsketten sind, sondern es innerhalb der einzelnen Massive ganz verschiedene Landschaftsformen gibt. Einer unserer Favoriten ist hierbei sicherlich das bolivianische Altiplano, die unendlich weite Hochebene im Süden Boliviens.

Als wir in Santa Cruz nach der Landung wieder ins Freie treten, trifft uns fast der Hitzeschlag. Wir hatten erwartet, auf Meeresspiegel wieder richtig tief durchatmen zu können. Aber falsch gedacht: uns trifft eine Wand aus schwüler, tropisch heißer Luft und stinkenden Abgasen. Bei der Busfahrt vom Flughafen ins Zentrum der Stadt stellen wir schnell fest, das Santa Cruz im wahrsten Sinn des Wortes ein Drecksloch ist. Unser Hotel liegt direkt gegenüber vom Busterminal und so entscheiden wir uns, noch vor dem Check-in, erstmal Infos zu holen, wie wir von hier unsere weitere Route gestalten können. Wir haben zwei Optionen: entweder fahren wir durch Brasilien oder durch Paraguay, unser Ziel sind so oder so die Iguazú Wasserfälle. Die Verbindung nach Brasilien ist ziemlich aufwändig und unbequem. Die Verbindung nach Asunción in Paraguay ist mit einer 24 stündigen Busfahrt zwar sehr lang, aber immerhin hätten wir es dann mit einem Mal hinter uns. Wir hatten vorher schon von dieser Verbindung gehört und auch, dass es landschaftlich durchs absolute Nichts geht. Der Bus nach Paraguay mit 180° Grad Sitzen würde allerdings nur heute fahren, in drei Stunden um genau zu sein, oder erst wieder in drei Tagen… Wir prüfen kurz, ob unser Hotel für die Nacht in Santa Cruz noch stornierbar ist und entscheiden uns dann nach einigem Abwägen, für die spontane Paraguayvariante. Nichts wie weg aus Santa Cruz! Das wir Bolivien damit nun doch früher als gedacht verlassen, stimmt uns schon ein bisschen wehmütig. Aber wir haben hier tatsächlich alles gesehen und gemacht, was wir interessant fanden und die restlichen etwas untouristischeren Orte in Bolivien reizen uns aktuell nicht so wie Brasilien.

Wir besorgen uns also noch Snacks, Wasser und Essen für die Fahrt, dann setzen wir uns ins Terminal. Hier beobachten wir eine Gruppe europäisch aussehender Menschen, die aussehen wie aus einem anderen Jahrhundert. Alle sind blond und blauäugig und die Männer tragen Strohhüte und Latzhose. Die Frauen haben alle Flechtfrisuren, Kopfhauben und tragen Trachtenkleider und kümmern sich um die unzähligen Kinder. Das ist Mal ein klischeehafter Paraguayeinstieg! Paraguay ist schließlich berühmt bzw. berüchtigt für Kolonien und Sekten aus Europa, von vorwiegend deutschen Einwanderern. Ddie bekanntesten unter Ihnen sind wohl die Menonniten, die ähnlich den Amish People in den USA ohne moderne Technologie leben wollen. Jetzt bekommen wir schon unseren ersten Vorgeschmack und das obwohl wir noch nicht Mal in Paraguay sind. Wir sind ohnehin gespannt, was uns in Paraguay erwartet, da wir bisher von allen Südamerikanern eher dubioses über das Land gehört haben. Hier suchen auch südamerikanische Kriminelle vorzugsweise Zuflucht, um den Gesetzen in den jeweiligen Ländern zu entkommen. Erst vor ein paar Wochen war in Argentinien überall in den Medien, dass ein gesuchter Verbrecher nach Paraguay geflüchtet ist – denn dort gibt es kein Auslieferungsabkommen. Mit gemischten Gefühlen steigen wir also in unseren Bus.

Um 19 Uhr geht die Fahrt dann fast pünktlich los. Zunächst stellen wir fest, dass unsere Sitze doch keineglatte Liegefläche erlauben und sich nur um etwa 165 Grad zurück lehnen lassen. Wie schön wäre es, wenn es hier in Südamerika Mal eine Norm gäbe! Aus der Bennennung des Busses kann man quasi nie schließen, wie die Bestuhlung aussehen wird: Cama, also Bett, kann von 160 Grad bis 180 Grad alles sein besipielsweise. Wir werden es aber überleben und fahren bald schon durch die Nacht und verbringen morgens nach dem Aufwachen erstmal drei Stunden an der Grenze zwischen Bolivien und Paraguay. Wir vermuten, dass ein Teil unserer Wartezeit daher kommt, dass wir zu früh da waren und die Grenze erst um sieben Uhr öffnet. Der Grenzübergang selbst geht dann schnell. Anschließend geht es weiter durch Paraguay, Stunde um Stunde. Die Landschaft ist tatsächlich unglaublich eintönig und wirklich nicht sehenswert. Der Chaco, eine riesige Buschlandschaft, ist zwar Heimat für Jaguare und Pumas, aber wir sehen nur ein undurchdringliches Dickicht aus Buschwerk und dornigen Sträuchern. Die Landschaft hat etwas savannenähnliches, es ist auf jeden Fall sehr trocken und heiß.

Dieser Teil Paraguays ist entsprechend äußerst spärlich besiedelt, doch eine besondere Bevölkerungsgruppe lebt hier: die Mennoniten. Die ursprünglich deutschstämmigen Einwanderer der Mennonitensekte kamen seit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts und insbesondere nach dem zweiten Weltkrieg nach Paraguay und besiedelten den Chaco. Hier betreiben die Mennoniten in verschiedenen Kolonien sehr erfolgreich Landwirtschaft, denn die Böden sind überraschend fruchtbar. Als wir an einer Raststätte mit kleinem Supermarkt mitten im Nirgendwo Pause machen, stellen wir überrascht fest, dass die Beschilderung der Waren Deutsch ist. Über den Regalen finden wir neben der kleinen spanischen Bezeichnung, groß die Kategorien auf Deutsch. Tiefgekühltes, Getränke, Teigwaren… Es ist als ob wir einen deutschen Supermarkt betreten. Das kommt daher, dass die Sprache der Mennoniten auch heute immer noch Deutsch ist. Die Mennoniten sprechen eine Form des Altdeutsches, das in Deutschland seit vielen Jahrzehnten nicht mehr verbreitet ist.

Kleindeutschland im Chaco

Im Laufe unserer Fahrt durch Paraguay in Richtung Asunción beehren uns immer wieder die nationalen Sicherheitskräfte mit Besuchen. Fünf Drogenkontrollen an der Zahl durchlaufen wir. Aber es wird uns jedes Mal etwas Neues geboten. Von der Polizei, über das Militär bis hin zu einem Sheriff mit Holzgriffrevolver ist alles dabei. Mal mit, mal ohne Hund. Dann haben wir langsam alle Instanzen am Highway abgearbeitet. Alle sind sehr langsam, aber sehr freundlich. Meistens laufen die Kontrollen völlig unorganisiert, sodass es beispielsweise darin endet, dass unsere Pässe doppelt gecheckt werden. Die anwesenden europäischen Touristen, bis auf Ann, werden deutlich nachlässiger kontrolliert, als die Südamerikaner. Nur Ann muss gemeinsam mit den Südamerikanern fast jedes Mal ausführlich ihren Rucksack öffnen, aber das ist sie schon von Flughafenkontrollen gewöhnt. Nach 25h Fahrtzeit kommen wir endlich um halb Zehn Abends in Asunción an. Vom Terminal in Santa Cruz aus hatten wir uns schnell noch eine Unterkunft gebucht, sodass wir jetzt im Dunkeln direkt mit einem Taxi dorthin fahren können. Der sehr herzliche Besitzer Theodoro wartet schon auf uns und so können wir nach einer Dusche direkt ins Bett fallen.

Die nächsten zwei Tage verbringen wir damit, Asunción zu erkunden. Die Hauptstadt Paraguays hat keine wirklichen touristischen Highlights zu bieten und doch wird uns während der zwei Tage nicht langweilig. Während Argentinien und Uruguay darum streiten, welche Nation entspannter ist, hat Paraguay den Wettbewerb verschlafen. Paraguay übertrifft in Sachen Entspanntheit tatsächlich alles, was wir bisher erlebt haben. Die Leute, die wir treffen, sind wirklich sehr entspannt und auch sehr langsam. Das macht einiges zwar auch unnötig kompliziert, aber wir haben ja Zeit.

Straßenecke in Asunción

Am ersten Tag schlendern wir einfach durch das Zentrum von Asunción. Wir laufen die wenigen bekannten Sehenswürdigkeiten, wie den Präsidentenpalast und die Heldenkapelle, ab. Nachmittags essen wir Kuchen in einer deutschen Bäckerei, die wir beim Schlendern durch die Straßen Asuncións entdecken. Der Apfelkuchen und die Nussecke schmecken besser als in den meisten Bäckereien in Deutschland. Hier ist nichts industrialisiert und der deutsche Bäckermeister hat vor über 50 Jahren sein Rezept mit nach Paraguay gebracht, das er auch heute noch genauso von Hand backt. Abgesehen von der deutschen Bäckerei und den Spuren der Mennonitenkolonien treffen wir auf keine weiteren deutschen Einwanderer. Während Corona gab es jedoch geradezu einen Boom an Impfgegnern aus Deutschland, die mitten im Nirgendwo des Chacos Land gekauft haben, um dort ein Leben in Freiheit zu führen. An diesen Corona-Auswanderern wurden allerdings auch einige Betrügereien verübt. Ein nicht unüblicher Betrug ist der vermeintliche Grundstückkauf. Die Grundstücke werden jedoch nach der Zahlung des Kaufpreises rechtlich nie überschrieben und den Käufern gefälschte Besitzurkunden ausgestellt. Außer den Impfgegnern haben auch einige Reichsbürger Paraguay gewählt, um dem „Polizeistaat“ Deutschland zu entfliehen. Nach unseren unzähligen Polizeikontrollen bezweifeln wir, dass die Reichsbürger hier glücklich geworden sind.

Präsidentenpalast

An unserem zweiten Tag in Asunción machen wir eine Free Walking Tour. Außer uns beiden nimmt noch ein Brite teil. Die Führung ist sehr gut und wir bekommen viele Infos zur Geschichte von der Unabhängigkeit Paraguays bishin zum Krieg um den Chaco zwischen Bolivien und Paraguay. Aber auch aktuelle Themen wie Drogenschmuggel, die Einwanderung deutscher Impfgegner und das Leben in den ärmsten Vierteln der Stadt werden beleuchtet. Am Ende der Tour besuchen wir noch das Museo de la Memoria. Nach dem Ende der Führung gehen wir zum Mittagessen in eine bekannte Bar, um traditionell paraguyanisches Essen zu probieren: Yucafladen gefüllt mit Käse. Wir sind wirklich positiv überrascht von Asunción, vorher hatten wir viel negatives gehört. Asunción ist eine sehr interessante Stadt, die man gut zu Fuß erkunden kann. Wir fühlen uns sicher, wir haben aber bisher auch in kaum einer anderen südamerikanischen Stadt so viele Polizisten gesehen wie hier. Eine Einschränkung gibt es jedoch: das Zentrum ist nur bis 16 Uhr belebt, danach ist es nicht empfehlenswert, sich dort noch aufzuhalten. Das liegt auch daran, dass sich direkt neben dem Zentrum das Armenviertel La Chacita befindet. Hier leben auf 2 bis 3 Quadratkilometern schätzungsweise 80.000 Menschen. Bei unserer Stadtführung laufen wir bis zum Beginn des Armenvierteles, mindestens 6 Polizisten stehen hier postiert. Unser Guide Victor erzählt uns, dass die Bevölkerung hier in den letzten Jahren geradezu explodiert ist und viele unter Druck der Armut in die Drogenkriminalität abrutschen.

Blick über das Armenviertel La Chacita

Nach drei Nächten geht es für uns weiter nach Brasilien. Morgens um sieben Uhr nehmen wir ein Uber zum Busterminal. Von dort fahren wir nach Ciudad del Este. Unterwegs sehen wir viel Landwirtschaft und weitere Kolonien. Hier ist die Gegend deutlich grüner als im Chaco. Nach sieben Stunden kommen wir in Ciudad del Este an der Grenze zu Brasilien an. Von hier geht es für uns direkt weiter.

Wir haben außerdem das Video zu unserer Zeit in Uruguay mit Anns Familie hochgeladen:

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