Gegensätzliche Hauptstädte

Vom Flughafen in Buenos Aires nehmen wir ein Uber die wenigen Kilometer zu unserem Hotel. Es liegt auf der Avenida Corrientes in unmittelbarer Nähe zum Obelisken, der spätestens seit der erfolgreichen Weltmeisterschaft 2022 in der ganzen Welt bekannt ist. Direkt vor Ort wird uns erst die Größenordnung klar, die die feiernde Menschenmenge gehabt haben muss. Die Avenida des 9 Juli gilt mit ihren 12 Fahrspuren und 2 Busspuren als eine der breitesten Straßen der Welt. Um sie zu Fuß zu überqueren, müssen Grünphasen von vier verschiedenen Ampeln überwunden werden. Sonst hat man keine Chance. In Längsrichting dehnt sie sich einmal durch die gesamte Metropole. Die Avenida Corrientes hat zwar nur zwei Fahrspuren, ist aber dennoch eine wichtige Straße nicht nur für die Stadt, sondern auch für uns. Hier liegen unzählige Theater und Restaurants, weshalb die Straße auch als Broadway von Buenos Aires gilt. Es gibt sogar eine Replik des aus zahllosen Filmen bekannten Kartenhäuschens aus New York. Wir schaffen es zwar nicht in eine Theateraufführung, mischen uns aber zum Abendessen gerne unter die vielen Menschen, die vor oder nach den Vorstellungen die Straße entlang flanieren. Am ersten Abend gibt’s ein leckeres Steak, an unserem zweiten Abend gehen wir in ein italienisch-argentinisches Restaurant. Hier gibt’s für Max die lokale Abwandlung von Pizza, Fugazzetta, ein Gedicht aus Mozzarella, Zwiebeln und ein wenig Pizzaboden. Die übrigen essen hervorragende Pasta.

Den nächsten Morgen verbringen wir nach dem umfangreichen Frühstück auf dem Hoteldach am Pool. Ann und ihrer Mutter geht es leider nicht so gut, weshalb Anns Vater und Max sich alleine auf den Weg zu einer Free Walking Tour machen. Treffpunkt ist der repräsentative Bau des Nationalkongresses vom Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Weiter geht es die Avenida de Mayo entlang an einer Originalreplik von Rodins Denker bis zur bekannten Plaza de Mayo. Hier erfahren wir alles über die Mütter der Plaza de Mayo, die mit ihren friedlichen Demonstrationen wesentlich am Untergang der letzten Diktatur Argentiniens beteiligt waren. Nach knapp drei Stunden des Schwitzens in der prallen Sommersonne sind wir zwar um einiges Wissen reicher, aber auch KO. Also kehren wir wieder zu den Frauen an den Hotelpool zurück. Hier verbringen wir die letzte Sonnenstunde des Tages, bevor wir uns abends zu viert aufmachen zur bereits beschriebenen Pizzeria. Anschließend bringen wir aus unserem Zimmer zwei Stühle mit zu Anns Eltern, rücken dort die Möbel etwas herum, sodass wir uns um den Schreibtisch setzen und Skat spielen können. Allmählich läuft es richtig gut, nachdem Ann und ihre Mutter in den letzten Tagen bereits durch eine harte Schule gegangen sind.

Blick vom Hoteldach, Buenos Aires

Am letzten Morgen in Buenos Aires regnet es morgens wie aus Kübeln. So lassen wir uns Zeit beim Frühstücken, packen uns Regenjacken in die Rucksäcke und ziehen los, als es am späten Vormittag aufgehört hat. Wir laufen zum alten Hafen der Stadt, der den Einwohnern ihren Namen (Porteños) gegeben hat. Hier sind die alten Speichergebäude allesamt aufwändig renoviert beziehungsweise modernisiert. In den Untergeschossen und speziell am Wasser sind meist teure Restaurants untergebracht und darüber Büroräume und sicherlich auch die eine oder andere Wohnung. Das Viertel hat also das gleiche Schicksal in Sachen Gentrifizierung erlitten, wie viele andere Hafenviertel in Deutschland auch. Hübsch ist es natürlich, wenn auch etwas steril, und so essen wir mit Blick aufs Wasser zu Mittag. Heute steht Mal wieder das argentinische Lieblingsgericht nach Fleisch auf der Karte, Pizza! Satt schlendern wir anschließend über eine schöne, aber irgendwie, auf ihre moderne Art, fehl am Platz wirkende Hängebrücke zur Station der Subte. So heißt die hiesige Metro, die uns ins Viertel Palermo bringt. Dieses ehemalige Studenten- und Bohemeviertel ist besonders bei Touristen bekannt als Ausgehviertel und so ist vom Esprit, der es ursprünglich bekannt machte, nicht mehr viel zu spüren. Statt dessen steht hier ein Happy Hour Schild neben dem nächsten und schicke sowie moderne, Insta-perfekte, Bars reihen sich aneinander. Aber dafür sind wir auch gar nicht gekommen. Wir sind hier für die Pferderennbahn. Heute finden elf Galopprennen statt, bei denen wir (im besten Fall) unsere Urlaubskassen etwas aufbessern wollen. Etwa einen Kilometer von der Metrostation entfernt ist der Eingang zu dem durchaus sehr großen Gelände. Der Eintritt ist frei und so marschieren wir einfach durch das prunkvolle Eingangstor und sind in einer anderen Welt gelandet. Überall stehen in Grüppchen ältere Männer in karierten Hemden über die Rennbahnmagazine gebeugt, in denen die startenden Pferde und ihre Erfolgsquoten aufgeführt werden. Es wird eifrig diskutiert und spekuliert und im Zweifelsfall mit einer Lupe nochmal genau geschaut. Auch wir besorgen und so ein Magazin und begeben uns zum Vorführplatz, auf dem man vor jedem Rennen die Tiere begutachten kann. Wir treffen unsere Entscheidungen und gehen zum Kassenhäuschen, wo wir 100 Peso Scheine auf unsere jeweiligen Favoriten setzen. Kurz darauf beginnt auch schon das Rennen. Über Tausend Meter galoppieren sieben Pferde über die matschige Bahn. Am Ende belegen unsere Favoriten die mittleren respektive letzten Plätze. Ann ist in ihrem Element und Max macht sich Sorgen, sie an die Wettsucht zu verlieren. Nach drei Rennen ist ihr Budget aufgebraucht, aber ihr Vater stellt ihr den Rest seines Budgets zur Verfügung. Das neu erhaltene Geld setzt Ann auch direkt wieder und verdreifacht es mit einem Sieg ihres gesetzten Pferdes. Nach einigen Rennen ist unsere gemeinsame Bilanz ausbaufähig. Wir haben insgesamt etwa 12€ gewettet und knapp 1,50€ gewonnen (davon gehen zwei Drittel auf Ann). Spaß hat es dennoch gemacht. Da wir schon in Palermo sind, gehen wir hier noch etwas essen und fahren danach mit der Metro wieder ins Hotel.

Straßenzug in Buenos Aires

Mit einem Uber geht’s am nächsten Morgen früh zum Hafen. Hier besteigen wir einen großen Katamaran, der uns nach Uruguay bringt. Nach etwas mehr als einer Stunde auf dem Wasser des Delta des Rio de la Plata erreichen wir den Hafen von Colonia del Sacramento. Von hier geht’s per Bus nochmal zwei Stunden bis zur Hauptstadt Montevideo. Drei Nächte werden wir hier verbringen, wir merken aber schon schnell nach unserer Ankunft, das dies schwierig werden könnte. Auf der Fahrt vom Busterminal zum Hotel sehen wir kaum Menschen. Auch Geschäfte oder Cafés sind nicht zu sehen hinter den zahllosen Rolläden oder offensichtlich geschlossen. Sogar Starbucks ist zu und das an einem Samstagnachmittag. Unser Hotel liegt eigentlich mitten im Zentrum, aber die Straßen drumherum sind menschenleer. Trotzdem laufen wir drauf los und landen schnell am Hafen. Auch hier scheint alles verlassen, nur einige scheinbar obdachlose Menschen hängen in den Hauseingängen. Alle anderen sind im Sommerurlaub in den Küstenstädten. Alles in allem fühlen wir uns nicht sonderlich wohl und machen, dass wir aus dem Hafenviertel weg kommen. Schon bald finden wir die Promenade am Meer und flanieren hier entlang. Auf die Idee sind wohl auch die verbliebenen Locals gekommen, auf der Mauer sitzen immerhin einige Grüppchen, trinken Mate und genießen die Sonne. Später wollen wir etwas zu Abend essen. Das mehr oder weniger einzige geöffnete Restaurant ist eine Pizzeria, die neben Pizza das übliche Uruguayanische Fastfood, Chivito, anbietet. Max bestellt eines dieser Steaksandwiches und ist positiv überrascht. Wir wurden vor einigen Wochen von anderen Deutschen zwar davor gewarnt, aber die immer etwas anders belegten Sandwiches sind doch ziemlich lecker. Tatsächlich wird dies unser Standardmittagssnack für die nächsten zwei Wochen werden. Anschließend spielen wir in unserem Hotel in der Nähe der französischen Botschaft noch einige Runden Skat. Unser Fazit zum ersten Tag in Montevideo, von dem behauptet wird, es sei wie das ursprüngliche Buenos Aires: Wenn Buenos Aires so früher war, gefällt es uns heute besser!

Fußgängerzone in Montevideo, Uruguay

Nach dem enttäuschenden Vortag geben wir heute der Stadt eine neue Chance. Wir nehmen an einer Free Walking Tour Teil und erhoffen uns so nochmal eine neue Perspektive. Die Tour ist auch in der Tat interessant, nur haben wir alle das Gefühl, dass die Uruguayos sich ihr Land ein wenig schön reden. So erzählt der Guide zwar von der in vielerlei Hinsicht progressiven Gesetzgebung (Frauenwahlrecht, Cannabislegalisierung, gleichgeschlechtliche Ehe). Auf Nachfrage will er aber beispielsweise nichts zu den Auswirkungen der eklatanten Einkommensschere bzw. zur Armut in dem Land sagen. Dabei sehen wir einerseits die Armut in Form der vielen Obdachlosen Menschen und der teilweise heruntergekommenen Häusern und kennen andererseits den Mindestlohn von knapp 400€. Gleichzeitig sind die Preise von nahezu allem hier vergleichbar zu Mitteleuropa. Zum Fleischkonsum weiß der Guide zwar zu berichten, dass Uruguay den weltweit höchsten pro Kopf Verbrauch an Rindfleisch hat. Nur zur Viehhaltung kann er nichts wirklich sagen. In Argentinien schien uns nämlich der Großteil der Viehhaltung industrieller Art zu sein, da wir im Laufe der vielen Buskilometer nur sehr wenige Rinder auf den vielen leeren Wiesen gehen haben. Daher interessiert es uns, wie es in Uruguay aussieht. In den folgenden Tagen machen wir uns allerdings auf unserer Rundfahrt durchs Land ein eigenes Bild. Hier sehen wir tatsächlich unglaublich viele Rinder auf den weiten Ebenen und haben den Eindruck, dass hier vielleicht wirklich noch Freilandhaltung die vorherrschende Form der Tierhaltung ist. Eine Internetrecherche bestätigt uns: 85% der Rinder leben bis zur Schlachtung auf der Weide. Der Guide hätte dies also stolz erzählen können! Wir lassen uns jedenfalls nach der Tour in der alten Markthalle der Stadt eine leckere Grillplatte schmecken. In Uruguay wird mit Holz statt Kohle gegrillt und so hat das Fleisch einen ganz besonderen Geschmack.

Asado in Uruguay

Der letzte Tag in Montevideo ist ein Montag. Es ist außerdem Anfang Februar und somit ist die Haupturlaubszeit vorbei. Das merken wir. Plötzlich ist die ganze große Avenida des 18. Juli (der Uruguayanische Unabhängigkeitstag) von Geschäften und flanierenden Menschen gesäumt. So kommt tatsächlich Hauptstadtstimmung auf. Wir lassen uns treiben, kaufen uns neue Badeklamotten für den Strand (unsere alten passen uns nicht mehr) und lassen uns von der Entspanntheit der Uruguayos anstecken. Niemand hat hier Stress, an jeder Ecke sitzen Grüppchen, trinken Mate und alle genießen das gute Wetter. Außerdem gehen wir nochmal zum Hafen und schauen einem Kreuzfahrtschiff beim Einlaufen zu. Unterm Strich haben wir also unseren Frieden mit Montevideo geschlossen. Man muss für die Stadt aber nicht mehr als einen Tag einplanen.

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