Durch die Pampa gen Süden

Von Bariloche aus geht es weiter gen Süden, sogar weiter als Villa O’Higgins, nach El Chalten. Wir fahren dutch die endlose Weite der argentinischen Pampa. So weit das Auge reicht, sieht man nur vom kargen Gras bewachsene steppenartige Landschaft. Nur hin und wieder wird sie von einem Fluss durchquert, der sich, gesäumt von dichtem Grün aus Büschen und Bäumen, durch die Landschaft windet wie eine Schlange. Jetzt verstehen wir, warum es hier nichts gibt außer die eine oder andere verloren wirkende Estancia und sind froh darüber, diese unwirtliche und raue Landschaft mit einer einzigen, aber dafür langen, Busfahrt durchqueren zu können. Obwohl El Chalten weiter südlich liegt als Villa O’Higgins, stellt sich hier nicht dieses eigentümliche Gefühl ein, am Ende der Welt zu sein. Es fühlt es sich an, als seien wir in der Mitte der weiten Pampa und schweben darin wie ein Raumschiff in den endlosen Weiten des Alls. Wir fahren und fahren und immer wieder dämmern wir weg und so vergeht langsam der Tag und mit der Dämmerung fallen wir endgültig in einen unruhigen, traumlosen Schlaf. Doch mitten in der Nacht, um etwa vier Uhr, weckt uns ein lautes Piepen. Verschlafen schieben wir die Vorhänge zur Seite und stellen fest, dass wir uns auf einer Schlammpiste rückwärts bewegen. Seltsam, das argentinische Pendant zur Carretera Austral, die Ruta 40, soll eigentlich geteert sein. Google Maps bestätigt aber, dass wir uns auf dieser Straße unweit (im Pampa Maßstab nur noch 4 Stunden) unseres Ziels El Chaltén befinden. Nach einer gefühlten Ewigkeit des rückwärts Fahrens bleiben wir stehen und ein Fahrer kommt in den Gästeraum. Er informiert uns, dass er versucht hat weiterzufahren, aber es für den Bus hier kein Weiterkommen gibt. Ann fragt verschlafen, was der Grund sei, zu viel Regen ist die Antwort. Durch den Schlamm auf der Straße findet der Bus, selbst mit Schneeketten, keinen Gripp mehr. Es bleibt nur eine Möglichkeit: ein Umweg von mindestens 7 Stunden. Der Umweg führt uns also erst wieder ein gutes Stück zurück und dann über eine Straße, die nach Osten bis zur Küste kreuzt. Von dort geht’s dann weit in den Süden, bis zum südlichsten Zipfel des Festlandes und anschließend wieder nach Westen und Norden. Andere Alternativen gibt es in diesem äußerst dünn besiedelten Teil der Welt leider nicht. Wir fahren und fahren, immer weiter durch die Pampa. Dabei sehen wir immerhin, neben den unendlichen Zäunen der riesigen Estancias, Guanakos, Nandus und Greifvögel. Zur Mittagszeit machen wir endlich einen Halt an einer kleinen Raststätte, die passenderweise Hotel Esperanza (also übersetzt „Hoffnung“) heißt. Hier können wir unsere Wasservorräte nochmal ausfüllen und uns mit weiteren Snacks versorgen. Wir waren zwar für die 24 geplanten Stunden gut ausgerüstet, aber bei so einer Verzögerung brauchen auch wir Nachschub. Viele hundert Kilometer und 8 Stunden Umweg später kommen wir endlich in El Chaltén an und sind natürlich völlig erledigt. Ein kleiner Spaziergang hilft uns, unsere Gliedmaßen wieder einigermaßen hinzubekommen, außerdem können wir so zum Supermarkt, um fürs Abendessen einzukaufen. Doch bevor wir kochen, beschließt Ann, dass wir von den Resten des Geldes für ihren Geburtstag auf zwei Aperol Spritz in einer Bar vorbeischauen.

Am nächsten Tag brechen wir früh auf zu einer der beiden hier berühmten Wanderungen: Den Aufstieg zur Lagune am Fuße des Cerro Torre, einer schlanken Granitnadel, die sich viele hundert Meter in die Höhe reckt. Ihre Erklimmung gilt als Herausforderung unter Kletterern aus aller Welt und während wir ihre scheinbar spiegelglatten Wände beobachten, verstehen wir wieso. Eine weitere Komplikation der Besteigung ist das Wetter, dass durch die meist starken Winde dauernd wechselt. Und so können auch wir während unserer Mittagspause am Gletschersee den Berg mal sehen und im nächsten Moment ist er schon wieder komplett hinter Wolken verschwunden. In seiner ganzen Pracht bekommen wir ihn leider nicht zu sehen, aber immerhin können wir einen Großteil des Bergmasssivs um den Cerro Torre herum sehen. Im Vordergrund erstreckt sich malerisch die Lagune mit Eisschollen darauf, die immer wieder vom Gletscher abfallen, der am gegenüberliegenden Ufer ins Wasser stürzt. Durch die vom Wind um die Berge gepeitschten Wolken bekommt der ganze Anblick eine dramatische Schönheit. Im seltenen Fall besten Wetters und Windstille fällt diese Dramatik natürlich weg, dafür kann man dann wohl sogar sehen, wie sich das Bergmassiv im Wasser spiegelt. Daran ist aber heute nicht zu denken. Wir müssen uns wegen des eisigen Windes sogar alle mitgebrachten Kleidungsschichten anziehen. Der Aufstieg hat sich aber auf jeden Fall gelohnt! Auf dem Rückweg nach El Chaltén schauen wir uns immer wieder um, damit wir doch noch einen Blick auf den Gipfel des Cerro Torres erhaschen, der bleibt jedoch in den Wolken verborgen. Als wir dann kurz vor einem letzten Aussichtspunkt sind, geben die Wolken den Blick auf den Gipfel frei – verhüllen nun aber dafür den unteren Teil des Massivs.

Laguna am Fuß des Cerro Torre, El Chaitén

Am nächsten Tag gehen wir direkt die zweite berühmte Wanderung an, auch wenn uns die 21 km des Vortages noch in den Knochen stecken. Dieses Mal nehmen wir einen Shuttlebus zum Startpunkt Wanderung zur Laguna de los Tres. Mit etwa 60 anderen Wanderern brechen wir auf, lassen die meisten aber bald hinter uns. Dennoch versuchen wir uns nicht zu sehr davon motivieren zu lassen, die schnellsten zu sein, sondern trotzdem an den vielen Aussichtspunkten zu halten. Zeit für Fotos muss schließlich sein. Die tollste Aussicht vor dem Erreichen des Tageshighlights ist der, auf der gegenüberliegenden Seite des Tals, hängende Gletscher Piedras Blancas. Er schiebt sich wie aus dem nichts zwischen den Granitbergen hervor, um sich in eine türkise Lagune zu ergießen. Hier merken wir zum ersten Mal, dass wir wirklich nur von diesen Bergrücken vom südlichen kontinentalen Gletscherfeld getrennt sind. So nahe waren wir ihm auch in Villa O’Higgins nicht. Weiter geht die Wanderung durch malerische Buchenwälder, bis wir ungefähr nach 9 Kilometern das Tal kreuzen und auf der anderen Seite 400 Höhenmeter auf einem steilen Pfad über Felsen und Geröll überwinden. An dessen Ende liegt die Laguna de los Tres, die vom gleichnamigen Gletscher gespeist wird. Darüber thront noch mächtiger als der Cerro Torre gestern der Fitz Roy zusammen mit zwei anderen Granitnadeln, den Bergen Cerro Poincenot und Cerro Egger. Erneut sind die Berge von Wolken umhüllt und so raten wir wild, welche der Nadeln, die sich immer Mal zeigen, der mächtige und weltbekannte Fitz Roy ist. Immer wieder schauen wir aufs Logo unserer Patagoniajacken, das ebendiesen zeigen soll und sind uns sicher, ihn jetzt identifiziert zu haben. Nachdem wir unsere Brote verschlungen haben, rafft Max sich nochmal auf, steigt hinab zur Lagune und auf einen weiteren Geröllhügel an der Lagune hinauf. Genau in dem Moment lichten sich die Wolken und ein bisher nicht Mal zu erahnender Berg erscheint. Uns ist unabhängig voneinander klar: DAS muss der Fitz Roy sein. Ab diesem Zeitpunkt bleiben die Wolken etwas weniger dicht als zuvor und der Berg taucht immer wieder auf. So begleitet uns sein Anblick den ganzen Weg zurück bis El Chaltén. Unterwegs begegnen uns noch zwei Österreichische Kletterer, die Max scherzhaft fragt, ob sie den Fitz Roy besteigen wollen. An dieser Stelle kurz der Hinweis, dass die Besteigung ob der hohen, glatten Felswände für Ahnungslose ähnlich schwierig scheint wie beim Cerro Torre. Die beiden bejahen und fügen hinzu, dass sie zwei Wochen Zeit hätten, aufs richtige Wetterfenster zu warten und solange am ersten Schneefeld campieren wollen. Wir sind beeindruckt und forschen, kaum wieder im Hostel, nach. Dabei stoßen wir auf die sehr bewegte Geschichte des Fitz Roy und auch des Cerro Torre und ihrer Bezwinger, deren Lektüre bei z.B. Wikipedia echt spannend ist.

Laguna de los tres am Fuße des Fitz Roy, El Chaltén

Am nächsten Tag werden wir mit dieser sogar noch ein weiteres Mal konfrontiert, als wir im Büro der Nationalparkranger eine kleine Ausstellung zur Klettergeschichte in dieser Gegend besuchen. Anschließend erklimmen wir noch einen Aussichtspunkt, von dem aus wir nochmal einen tollen Blick auf den Fitz Roy genießen. Der Cerro Torre versteckt sich leider wieder hinter den Wolken, sonst hätten wir hier wohl die gesamte Bergkette im Blick gehabt. Das muss ein fantastischer Anblick sein! Sonst machen wir heute nicht viel. Max ist von der langen Busfahrt etwas erkältet und ein wenig müde von den 45 Kilometern und 1300 Höhenmeter der letzten zwei Tage sind wir beide.

Ausblick auf den Fitz Roy (rechts) und seine Nachbarn, El Chaltén

Auf unseren letzten Tag in El Chaltén haben wir uns schon lange gefreut. Nicht, um hier endlich wegzukommen, sondern weil eine ganz besondere Übernachtung für uns ansteht, die Anns Eltern Max zum Geburtstag geschenkt haben. In einem Wellnesshotel lassen wir es uns also den ganzen Tag gut gehen. Wir genießen den warmen Pool, den fast zu heißen Jacuzzi und die Sauna. Abends entschließen wir uns dazu, Essen zu gehen. Max wollte schon die ganze Zeit das in Patagonien auf traditionelle Art am Spieß gegrillte Lamm probieren und wird auch nicht enttäuscht. Es ist saftig und schmeckt köstlich. Trotzdem wird es wohl bei dem einen Mal bleiben, dieses Essen liegt doch etwas über unserem üblichen Budget.

Blick auf El Chaltén

Nach einer Nacht im sehr gemütlichen und unglaublich riesigen Bett geht’s mit Sack und Pack zu Fuß zum Busterminal. El Chaltén präsentiert sich heute nochmal in bestem Wetter und so machen wir unterwegs noch einige Fotos mit dem mächtigen Fitz Roy im Hintergrund, der heute komplett klar zu sehen ist. Im Bus nach El Calafate, der uns an den beiden riesigen Gletscherseen Lago Viedma und Lago Argentino vorbei fährt, begleitet uns die ganze Zeit die Bergkulisse. Heute ist wirklich kein Wölkchen am Himmel und so aus der Distanz können wir endlich endgültig nachvollziehen, wie das Bergmassiv um den Fitz Roy im Logo der Outdoormarke Patagonia dargestellt wird. So vergeht die Fahrt wie im Flug und kaum kommen wir in El Cafate an, fällt Max auf, dass wir schon wieder geschafft haben, einen Bus während bzw. kurz vor einem Argentinienspiel (das Halbfinale!) zu nehmen. Zum Glück sind wir hier nicht auf ein Taxi angewiesen, das Hostel ist nur anderthalb Kilometer vom Terminal entfernt. Kaum eingecheckt ziehen wir also los, um eine Bar zu suchen. Die findet sich schnell. Plätze mit Blick auf einen Fernseher zu finden, gestaltet sich aber als schwieriger. Zum Glück treffen wir Twan wieder, den wir aus Bariloche kennen. Er hat mit einer Gruppe aus seinem Hostel einen ganz guten Platz ergattert. Also stellen wir uns dazu und freuen uns später alle zusammen mit den Argentiniern. Die Stimmung im kleinen Ort kocht. Ein Autokorso fährt die Hauptstraße unermüdlich hoch und runter, der ganze Ort ist auf den Beinen und bildet ein blau-weißes Menschenmeer. Ein Junge im Teenageralter beginnt schließlich den Verkehr an einer Kreuzung zu regeln, da von Polizisten weit und breit jede Spur fehlt.

Einige Tage später, die wir in El Calafate für verschiedene Dinge (wie zum Beispiel Video schneiden – siehe unten!) genutzt haben, erleben wir das Finale auch hier. Nach einem extrem spannenden Spiel, in dem die argentinische Euphorie immer wieder erstickt wurde, gewinnt letztlich doch Leidenschaft über die französische Effizienz. Erleichtert und ausgelassen singen alle um uns herum, springen und feiern. Das Spiel war für Fans ohne Alkohol wohl kaum zu ertragen und so gibt es keine Autokorsos, sondern die Menschen strömen zu Fuß aus allen Ecken des Städtchens ins Zentrum. Dabei versuchen wir immer wieder Fetzen der Lieder aufzugreifen, um schließlich zumindest einen Teil des bekanntesten Liedes mitsingen zu können, während alle rythmisch klatschen: „Jungs,
Jetzt haben wir wieder Hoffnung geschöpft
Ich möchte zum dritten Mal gewinnen
Ich will Weltmeister werden
Und wir können Diego am Himmel sehen“

Wir feiern auf der Straße noch ein wenig mit, bevor wir etwas essen gehen und in einer Bar nochmal mit einigen fröhlichen Fans anstoßen. Gegen neun Uhr abends gehen wir wieder in unser Apartment und sehen unterwegs immer noch einige Leute feiern (das Spiel ist seit über sechs Stunden vorüber!). Fit und ausgeruht laufen wir den nächsten Tag die drei Kilometer zum Busterminal, um als Tagesausflug zum Gletscher Perito Moreno zu fahren. Der Bus bringt uns zum Parkplatz und von hier laufen wir über Metallgitterwege zu mehreren Aussichtspunkten über den Gletscher. Der Anblick ist überwältigend. Obwohl wir sicherlich noch gute 300m vom Rand des riesigen Eisfeldes entfernt sind, fühlt es sich deutlich näher an. Mit den gigantischen Dimensionen scheint unsere Wahrnehmung nicht klarzukommen. Von der etwa 70m hohen Front des Gletschers brechen immer wieder blau schimmernde Eisbrocken ab, die tosend ins milchige Wasser stürzen. Ein Aussichtspunkt bringt uns fast auf Höhe des Fußes der Gletscherfront und hier kann man beim Hochblicken endlich erahnen, wie hoch 70m sein können. Getoppt wird das Erlebnis nur noch vom tiefblauen Himmel und strahlendem Sonnenschein. Wir können tatsächlich im T-Shirt neben dem Gletscher stehen. Später begeben wir uns noch auf eine Bootsfahrt, die uns über den See nahe an den Gletscher heranbringt. Das ist nochmal eine ganz andere Perspektive und jetzt können wir auch die flächige Ausbreitung endlich einigermaßen greifen. Überglücklich fahren wir nach vier Stunden mit dem Bus wieder zurück. Kaum fährt der Bus los, schlafen wir auch schon ein. Es ist echt erstaunlich, wie sehr der Körper sich daran gewöhnen kann das Bus normalerweise lange Fahrt und schlafen bedeutet.

Perito Moreno Gletscher

Zum Abschluss sei für alle neuen LeserInnen nochmal darauf hingewiesen, dass ihr mehr Bilder bei Polarsteps (Link) oder Instagram (Link) finden könnt und last but not least kommt hier noch das versprochene Video:

Werbung

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s