Nach der Ankunft in Chaitén mit der Nachtfähre aus Puerto Montt kann unser Road Trip nun endlich so richtig los gehen! Wir sind bereit, uns mit eigenen Augen davon zu überzeugen, ob die Carretera Austral wirklich die schönste Fernstraße der Welt ist. Es geht jedenfalls schon vielversprechend los: Chaitén empfängt uns mit strahlendem Sonnenschein, 30 Grad und einer beeindruckenden Bergkulisse. Hinter dem kleinen Ort ragt ein hohes Bergmassiv mit schneebedeckten Gipfeln inklusive Gletscher in den blauen Himmel. Auf der anderen Seite des Ortes erhebt sich imposant eine dunkle kegelförmige Silhouette – der Vulkan Chaitén. Da fällt die Wahl schwer, wohin wir als erstes fahren wollen. Aber da wir gerade erst angekommen sind, die Nachtfähre noch in den Gliedern und die nächsten 3,5 Wochen Zeit haben, entschließen wir uns, erstmal in den Parque Nacional Pumalin etwa 25 Kilometer südlich zu fahren.
Gegründet wurde der Nationalpark als privates Naturreservat gegen Widerstände in der chilenischen Bevölkerung (vor allem von der Fischindustrie) vom Millionär Douglas Tompkins, dem Gründer der Marken North Face und Esprit. Später würde der Park in die öffentlich Verwaltung übergeben und zum Nationalpark erklärt. Das Gebiet ist riesig und umfasst auf 290.000 Hektar, einer Fläche so groß wie Hamburg und das Saarland zusammen, schier endlose Wälder, Flüsse und Bergketten. Wir fahren über eine Schotterpiste mit Blick auf den Gletscher Michimahuida bis zu einem wunderschönen Campingplatz und schlagen unser Zelt hier inmitten des Parks auf. Bis die Hauptsaison Mitte Dezember beginnt ist der CONAF-Campingplatz (Ranger Organisation der Nationalparks in Chile) sogar kostenfrei. Nachdem wir Mittag gegessen haben und ein Schläfchen vor unserem Zelt in der Sonne gemacht haben, ziehen wir los zu einer kleinen Wanderung. Der Wanderpfad heißt Sendero Ranita Darwin nach dem „Darwin-Nasenfrosch“. Den Frosch bekommen wir allerdings nicht zu Gesicht. Die Wanderung ist trotzdem schön und führt durch den gemäßigten Regenwald entlang eines kleinen Flusses und vorbei an zwei Miniwasserfällen zurück zu unserem Campingplatz. Abends kochen wir in einer der hübschen Schutzhütten noch Nudeln mit Olivenöl und Knoblauch. In der offenen Hütte hören wir die letzten Vögel im Sonnenuntergangslicht zwitschern, beobachten Fledermäuse über dem Campingplatz und als sich die Natur in die Nachtruhe begibt, begeben auch wir uns in unser Zelt. Müde und zufrieden schlafen wir die erste Nacht sehr bequem und ohne Störungen.

Am nächsten Tag ist Anns Geburtstag. Zur Feier des Tages wollen wir auf den Vulkan Chaitén wandern. Dieser brach erst 2008 überraschend aus und zerstörte Teile Chaiténs und des Nationalparks. Wir packen uns ein Picknick für Mittags ein und wandern los, immer dem Pfad folgend den Vulkan hinauf. Je höher wir kommen, desto großartiger werden die Ausblicke über das Tal und bis hin zur Küste. Die Temperatur beträgt um die 31 Grad und wir laufen in der prallen Sonne, da es kaum Bäume gibt. Die Vegetation wird immer karger. Aber die tolle Aussicht mit dem weiten Blick bei wolkenlosem Himmel entschädigt natürlich. Wir hätten nie gedacht, dass wir hier, im für Regen und Kälte bekannten Patagonien, mit kurzen Hosen und T-Shirts wandern würden. Nach unserem kleinen Picknick steigen wir wieder ab und kommen selbst dabei ins Schwitzen. Der Weg kreuzt am Ende einen Fluss, den wir auf einem Baumstamm überqueren. Wir entscheiden uns spontan, Badesachen und dreckige Klamotten aus dem Auto zu holen und uns und die Klamotten im Fluss zu waschen. Danach lassen wir uns in der Sonne trocknen, ziehen uns an und können so frisch „geduscht“ und glücklich zum Geburtstagsessen in einem Restaurant einkehren. Ann probiert zum ersten Mal den gegrillten Lachs, der hier in Patagonien überall serviert wird. Köstlich! Wir sind uns allerdings nicht sicher, ob es sich um frei gefangenen oder Zuchtlachs handelt. Tatsächlich ist die übermäßige Lachszucht ein Riesenproblem für die Gewässer in Patagonien. Aber zur Feier des Tages und als Ausnahme zum Geburtstag sei es erlaubt. Zufrieden und satt fahren wir wieder in den Park zu unserem Campingplatz und trinken dort noch Wein und essen Chips. Als es zu kalt wird, kriechen wir wieder in die Schlafsäcke und ziehen die extra für diesen Roadtrip erstandenen Fleecedecken über uns. So heiß es auch tagsüber war, nachts ist davon nichts mehr zu spüren.

Am nächsten Tag entscheiden wir uns, die Carretera Austral erstmal bis ganz runter in den Süden zu fahren und die Nationalparks und Wanderungen dann auf der Rückfahrt anzugehen. Zum einen reizt es uns, die komplette Carretera bis Villa O’Higgins zu fahren und so können wir unsere benötigte Zeit besser einschätzen und zum anderen hat sich Ann eine kleine Erkältung eingefangen und kann daher die Zeit zum „Auskurieren“ nutzen. Wir verlassen den Pumalin Nationalpark und folgen nun immer der Carretera Austral Richtung Süden. Weit kommen wir allerdings nicht, bevor wir das erste Mal anhalten. An dieser Stelle ist der Grund für unseren Stopp die Aussicht von einer Brücke über den Rio Michimahuida mit Blick auf den gleichnamigen Gletscher. Nachdem wir ausgiebig geschaut haben, machen wir uns wieder auf den Weg. Währenddessen werden noch unzählige weitere Fotostopps Richtung Süden folgen. Schließlich halten wir am Lago Yelcho an einem Aussichtspunkt mit kleiner Schutzhütte zum Mittagessen. Es gibt Toast mit Avocado und da wir noch Eier haben, braten wir uns schnell ein Omelette mit unserem Camping Kocher. Und das alles mit Ausblick über den in der Sonne glitzernden See und die Berge. Blauer Himmel, Sonne und traumhafte Natur – wir freuen uns auf die nächsten Wochen. Nach dem Essen fahren wir weiter über die kurvige Carretera Austral und trauen unseren Augen kaum, so unwirklich schön sieht die Bergwelt aus. Hinter jeder Kurve eröffnen sich uns neue Blickwinkel auf die Berge und wenn wir ein Bergmassiv hinter uns lassen, tut sich direkt vor uns das nächste auf. Dabei könnte die Landschaft kaum abwechslungsreicher sein. Wir sehen grüne Wälder, Bergseen in allen Blau- und Grüntönen, tiefe Schluchten, Gletscher, rauschende Wasserfälle, schneebedeckte Berggipfel und dann wieder weite Ebenen mit saftig, grünen Weiden. Wir sehen Cowboys, die Rinderherden entlang der Straße treiben und Pferde und Kühe, die entspannt in der Sonne grasen. Gefühlt alle paar Kilometer halten wir an und steigen aus, weil ein perfektes Motiv auf das nächste folgt. Aber wir stellen schnell fest: Bilder und Videos werden Patagonien einfach nicht gerecht. Der strahlend blaue Himmel und die 30° Grad tun ihr übriges, wir sind vom ersten Moment an im Roadtrip Modus und hören dazu unsere Roadtrip Playlist. Wir könnten ewig so weiter fahren.

Die unwirkliche Bilderbuchlandschaft täuscht jedoch leicht darüber hinweg, welche immense Kraft der Natur dahinter steckt. Als wir das kleine Dorf Santa Lucia passieren, bekommen wir einen Eindruck davon. Schon einige Kilometer vor dem Ort ist von der traumhaften Landschaft nicht mehr viel übrig: im Jahr 2017 ging ein katastrophaler Erdrutsch aus den umliegenden Bergen ab und hat das kleine Dorf frontal getroffen. Häuser, Menschen, Tiere und alles was dort einmal war, wurde fortgerissen oder unter der Schlammlawine begraben. An den Stellen wo früher Häuser standen, stehen jetzt Fahnen und Rosen.
Als die Zeit langsam Richtung später Nachmittag fortschreitet, entscheiden wir uns, einen Zeltplatz für die Nacht zu suchen. Aber noch haben wir Zeit, eine Abzweigung zu nehmen und einen Umweg über das hinter einer Hochebene versteckte Tal Mirta zu fahren. Umrahmt wird das Tal von drei Seen. Die Sicht ist fantastisch und wir würden hier gerne übernachten, aber kilometerweit ist alles (und damit ist wortwörtlich jeder Quadratmeter gemeint) eingezäuntes Privatland. Vorbei an den drei Seen Lago Claro Solar, Lago Negro und Lago Rossolot fahren wir über staubige Schotterpisten und kommen schließlich in La Junta an. Wir campen im Garten einer Familie, die Cabañas vermietet und haben sogar heißes Wasser und WLAN. Morgens bauen wir unser Zelt ab und entscheiden uns für einen weiteren Abstecher über einen Seitenarm der Carretera Austral. Die X-10 führt 75 km über Schotterpisten in das isolierte Dorf Raul Marin Balmaceda. Der kleine Ort ist nur über eine Fähre erreichbar, da er durch den Rio Palena auf der einen und den Pazifik auf der anderen Seite vom Festland abgetrennt ist. Wir haben gelesen, dass man hier vom Strand aus mit etwas Glück Delphine (und zu anderen Jahreszeiten sogar Wale) sehen kann. Auf der Strecke liegen außerdem Termalbäder, also gibt es genug Gründe, uns auf den Weg zu machen. Als wir die Abzweigung zu den Termalbädern erreichen, sehen wir ein Schild, das den Eintritt nur mit einer Reservierung erlaubt. Wir haben natürlich keine, aber biegen trotzdem optimistisch in den kleinen Schotterweg ein, in der Hoffnung für eine spätere Tageszeit reservieren zu können. Nach etwa 5 km kommen wir an den Termalbädern an und wir werden für unseren Optimismus direkt doppelt belohnt: ein Rafting Guide aus Südtirol arbeitet hier außerhalb der Saison und er kann uns nicht nur die letzten zwei Plätze für den Turnus von 17 – 20 Uhr reservieren, sondern sagt uns, wir könnten unser Zelt für die Nacht auf einem weiteren Grundstück seines Chefs aufbauen. Er schwärmt uns von der Lage des Grundstücks unten am Fluss mit Blick auf die Berge vor, sodass uns die Entscheidung leicht fällt. Später auf dem Rückweg von Raul Marin werden wir wieder hierher kommen, uns die heißen Termalbäder gönnen und dann am Fluss übernachten. Der Plan steht und wir machen uns wieder auf den Weg zum eigentlichen Grund des Abstechers. Die Strecke führt uns kurvenreich entlang von mit gemäßigtem Regenwald gesäumten Berghängen. Wir überqueren unzählige Flüsse und sehen immer wieder Wasserfälle, die sich neben der Straße hinab in tosende Flüsse stürzen. Wann immer wir wollen, bleiben wir mitten auf der Straße stehen. Aber da uns in der ganzen Zeit vielleicht 5 Autos begegnen, stört das auch niemanden. Nach etwa 1,5 Stunden auf der unebenen Schotterpiste kommen wir am kleinen Fähranleger an. Hier muss Max nun rückwärts, bergab und dann eine steile Rampe hinauf auf die Fähre manövrieren. Als wir an Board sind, geht es auch schon los und kaum sind wir auf der anderen Flussseite angekommen, können wir auch schon wieder runter fahren. Von hier sind es nur noch 10 km in den Ort. Dort angekommen, machen wir erstmal eine Mittagspause. Wir stehen auf einem Platz vor der Hafenmole mit Blick auf Dünen und die Mündung des Rio Palenas in den Pazifik. Fast schon obligatorisch erheben sich auf der anderen Seite wieder hohe Berghänge, die sich mit ihrem dunklen Grün im Wasser spiegeln. Wir machen eine kleine Wanderung über einen Pfad durch die Dünenlandschaft zum Strand. Als wir dort ankommen, staunen wir nicht schlecht. Obwohl es Samstagnachmittag ist, ist weit und breit keine Menschenseele auf dem kilometerweiten Sandstrand zu sehen. Dafür sehen wir umso mehr Delphine, die ganz nah zum Ufer in der Brandung immer wieder auf und abtauchen. Adler, Falken, Ibisse und unzählige andere Vögel gibt es als Zugabe auch noch zu sehen. Schweren Herzens lösen wir uns von dem Anblick und machen uns auf den Rückweg, wir haben ja schließlich eine Reservierung für 17 Uhr in den Termalbädern.
Zurück geht’s wieder den gleichen Weg und wir liegen gut in der Zeit. Doch plötzlich bleibt Max unvermittelt stehen und sagt er glaube wir haben einen Platten. Wir steigen aus und tatsächlich – der rechte Vorderreifen ist sowas von platt. Wir laden also unser Gepäck aus dem Kofferraum aus und wechseln den Reifen. Genau für diesen Fall haben wir ja Gott sei Dank ein Ersatzrad und sogar einen Wagenheber. Auf der wenig befahrenen Straße und ohne Handyempfang könnten wir sonst lange warten. Nach 15 Minuten geht es dann weiter und wir schaffen es noch halbwegs pünktlich zu unserer Reservierung. Das Bad in den heißen Becken ist, wie erwartet, super entspannend und die Anlage wunderschön. Kaltes Flusswasser wird hier mit 80 Grad heißem Wasser aus einer Vulkanquelle gemischt und statt einem großen Becken gibt es vier private Becken. Wir haben ein Becken also ganz für uns alleine. Nachdem wir uns angezogen haben, ist die Entspannung dann jedoch plötzlich kurz wie vergessen, denn wir können unseren Autoschlüssel nirgends finden. Nach kurzer, aber intensiver Suche taucht der Schlüssel glücklicherweise schnell wieder auf. Wir müssen uns nach so langer Zeit ohne Auto wohl erstmal wieder daran gewöhnen, dass wir jetzt nicht mehr nur zu zweit unterwegs sind. Ann hatte schon vorher Witze gemacht, dass wir unser Auto nach der Nachtfähre nicht vergessen dürfen. Anschließend fahren wir wie geplant zum Flussufer, um unser Zelt dort aufzuschlagen. Der Südtiroler hat nicht zu viel versprochen, die Stelle ist wirklich wunderschön mit einer breiten Wiese, direkt am türkis schimmernden Fluss gelegen und mit Aussicht auf die Berge. Weit und breit sind wir die einzigen Menschen. Morgens beim Frühstück leistet uns dafür eine Gruppe von bestimmt 10 Falken Gesellschaft.
Nach dem Frühstück fahren wir zur Reifenreparatur zurück nach La Junta. Hier sind allerdings alle Werkstätten zu, da es Sonntag ist. Also fahren wir weiter in den nächsten Ort. Im kleinen Puyuhuapi angekommen, wird uns direkt geholfen. Der Werkstattbesitzer wohnt zum Glück direkt neben seiner Werkstatt. Wir hätten zwar mit dem Ersatzreifen weiter fahren können, aber bei einem weiteren Platten hätten wir dann ein Problem. Auf der Carretera Austral ist es nicht ratsam, allzulange ohne Ersatzreifen unterwegs zu sein. Aber der Reifen ist schnell repariert und schon geht’s weiter. Es folgt die für uns bisher schönste Strecke. Wir fahren auf immer imposantere Bergmassive zu und es wirkt, als ob wir in eine Postkarte hineinfahren. Gelb blühende Sträucher säumen den Wegesrand und das Wetter ist fantastisch. Von Puyuhuapi führt die Carretera in engen Kurven nach Villa Amengual. Das kleine Dörfchen ist für uns das schönste auf der Carretera Austral, liegt es einfach so idyllisch vor einer beeindruckenden Bergkulisse. Weite Teile der Carretera Austral sind hier noch nicht asphaltiert. Egal in welche Richtung man sich hier umschaut, überall sieht man ein traumhaftes Bergpanorama. Wir hatten damit gerechnet, dass Patagonien schön ist, aber die Landschaft hier sprengt einfach jeden Rahmen.

Um den Tag perfekt zu machen, finden wir in der Nähe des kleinen Ortes Villa Mañihuales auch noch einen tollen Wildcampingspot für die Nacht. Ein weiteres Mal direkt an einem Fluss mit glasklarem Wasser und natürlich mit schönen Bergen im Hintergrund. Als wir ankommen, grillt eine chilenische Familie an einer Feuerstelle in der Nähe. Wir werden direkt auf ein Bier eingeladen und probieren das gegrillte Fleisch. Das Essen der Familie besteht tatsächlich nur aus Fleisch, Beilagen gibt es keine. Nach dem Essen wird noch auf Lachse geangelt, heute allerdings nicht erfolgreich. Als die Chilenen sich dann auf den Heimweg machen, haben wir den Spot für uns alleine. Nur der Fluss rauscht und hin und wieder hören wir einen Ibis.
Ihr Lieben, immer wieder spannend, eure Berichte zu lesen. Vielen Dank. Liebe Ann, die herzlichsten Glückwünsche zum Geburtstag für dich und weiterhin eine glückliche Reise für euch beide. Constanza und ich sind von unserer 3 monatigen Reise durch den Balkan mit unserem Zeltanhänger zurück. Es war ganz toll. Seid ganz herzlich gegrüßt von Franz und Constanza
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Vielen Dank für die Glückwünsche ☺️ Wir haben während der 3,5 Wochen sehr das ,,Vagabundenleben“ genossen und vorallem für Ann war es das erste Mal solange Campen. Auf der Carretera Austral haben wir auch einige Europäer getroffen, die mit ihren Wohnwagen unterwegs waren, wir können die Route auf jeden Fall von ganzem Herzen empfehlen! ☺️
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