Wir fahren mit dem Nachtbus von Santiago nach Puerto Varas. Der kleine Ort wird auch Chiles Tor nach Patagonien genannt. Nach etwa 11 Stunden kommen wir pünktlich zu unserem ersten Sonnenaufgang in Patagonien an. Auf diesen Moment haben wir schon so lange hingefiebert! Seit wir von Ecuador aus immer Richtung Süden unterwegs waren, hatten wir immer den Süden Chiles als Ziel vor Augen und nun sind wir nach schier endlosen Kilometern wirklich dort… Nach so vielen langen Fahrten, ist diese letzte Busfahrt mit 11 Stunden Fahrtzeit für uns keine große Sache mehr und Nachtbusse lassen die Fahrt noch kürzer erscheinen. Da wir in unserem Hostel erst ab 8 Uhr einchecken können, setzen wir uns bis dahin zum Frühstücken auf eine Bank, direkt am Ufer des Lago Llanquihue. Wir haben eine tolle Sicht auf den perfekt kegelförmigen Vulkan Osorno, der sich im Sonnenaufgang aus ein paar Wolken herausschält. Was für ein Bilderbuchstart für unsere Zeit in Patagonien!Wir verbringen den Tag damit, uns das kleine Puerto Varas anzuschauen. Schon vorher hatten wir immer wieder gehört, dass Puerto Varas wie Deutschland aussehe. So richtig konnten wir uns das nicht vorstellen, aber jetzt wo wir es mit eigenen Augen sehen, wissen wir was gemeint ist. Puerto Varas wurde um 1846 von deutschen Auswanderern besiedelt, wie einige weitere Orte in Patagonien auch. Überall im Ort steht auf den Tafeln der Restaurants „Kuchen“ und es gibt sogar ein deutsches Restaurant mit Schnitzel und Apfelstrudel. Die Häuser sind überwiegend aus Holz oder zumindest im Stil von Holzhäusern und uns erinnert der Ort entfernt an das Outlet Wertheim Village. Also irgendwie an eine künstliche Deutschlandversion. Wir probieren die hiesigen Berliner, werden aber enttäuscht, da die Teilchen auch eher nach künstlicher Version schmecken.
Nachmittags planen wir unsere nächsten Tage in und um Puerto Varas. Wir haben eine gute Woche Zeit, bevor wir unseren Road Trip über die berühmte patagonische Fernstraße Carretera Austral mit eigenem Mietwagen und Zelt starten werden. Beim Abendessen erzählt uns ein anderer Hostelgast aus Paraguay, dass es in der Nacht einen Sternschnuppenregen geben soll. Wir sind sofort begeistert und schließen uns dem Plan an. Guido ist so glücklich darüber, dass wir ihn begleiten wollen, dass er uns sogar zwei Bier ausgibt. Wieder Mal eine super interessante Bekanntschaft! Wir bleiben bis 1 Uhr draußen und sehen viele Sterne, aber leider keine Sternschnuppen. Das Kreuz des Südens fasziniert uns immer wieder.
Am nächsten Vormittag machen wir uns auf den Weg zur sagenumwobenen Isla Chiloe. Die Insel ist nach der Tierra del Fuego die zweitgrößte Insel Südamerikas. Per Bus, der samt Passagieren auf die kleine Fähre fährt, geht es auf die Insel. Nach knapp 3 Stunden kommen wir im kleinen Städtchen Ancud an. Hier bleiben wir eine Nacht. Die Insel und das Örtchen gefallen uns auf Anhieb. Der Besitzer unserer Unterkunft gibt uns Tipps, was wir nicht verpassen dürfen und empfiehlt uns noch direkt nachmittags die Pinguinkolonie des Nachbarortes zu besuchen. Er rät uns auch dazu, uns einfach an die Straße Richtung Pinguine zu stellen und den Daumen rauszuhalten, da am Wochenende quasi keine Busse fahren. Trampen ist auf Chiloe üblich und überhaupt sind die Inselbewohner stolz auf die Sicherheit und freundliche Atmosphäre der Gegend. Die Insel ist nur dünn besiedelt und gefühlt kennt jeder jeden.Als uns nach kurzem Warten eine nette Frau in ihrem kleinen Auto ein Stück Richtung Pinguinkolonie mitnimmt, ist diese auch tatsächlich eine Bekannte vom Besitzer unserer Unterkunft. Wir unterhalten uns über ihre Farm, auf der sie ökologischen Anbau betreibt und das Leben auf der Insel. Nach etwa einer halben Stunde lässt sie uns an einer Weggabelung raus, da sie das letzte Stück in eine andere Richtung muss. An der Stelle ist praktischerweise auch ein Aussichtspunkt.
Die Natur ist wunderschön und die grünen Hügel und langen, breiten Sandstrände vor den Steilklippen überbieten sich förmlich in immer schöneren Ausblicken, je weiter wir entlang der Küste fahren. Wir entscheiden uns die letzten 2 Kilometer zu Fuß zu gehen, werden aber bereits nach wenigen Metern von einem Pärchen in unserem Alter mitgenommen. Die beiden haben tatsächlich gerade ihr zweites Date! Mit dem Auto geht es schließlich die letzten 200 Meter direkt über den Strand, bis wir vor einigen Bretterbuden parken. Unser netter Fahrer war schon häufiger hier und steuert zielsicher eine bestimmte Gruppe von Bootsbetreibern an. Wir schließen uns also an und innerhalb von 15 Minuten geht unsere Bootsfahrt zu den vorgelagerten Inseln mit Pinguinen auch schon los. Der Name unseres Bootes ist „Caleuche“, nach einer Inselsage des indigenen Krieger- und Reitervolkes der Huilliche, die seit Jahrhunderten im Süden Chiles leben. Das Geisterschiff Caleuche wird in der Mythologie von singenden und tanzenden Brujos (Hexern) gesteuert, die darauf aus sind, rechtschaffene Chiloten ins Verderben zu stürzen. Auf dem Geisterschiff segeln der Sage nach auferstandene Ertrunkene und versklavte Fischer. In Chiloe gibt es sehr viele alte Sagen, die von den Nachfahren lebendig gehalten werden. Unser Boot scheint jedoch glücklicherweise, trotz des Namens, ein ganz normales Boot zu sein.
Wir haben beide schon unzählige Bootsfahrten hinter uns, doch so ein Boarding wie hier ist für uns auch neu. Mit einem schmalen Steg, mit Geländern auf beiden Seiten, der auf einer schmalen Plattform befestigt ist und Rollen unter dieser hat, werden wir bis zum Boot geschoben. Es gibt hier am Strand keine Anlandevorrichtung und mittels dieser Methode kommen alle Passagiere trocken zum Boot. Der Steg wird von 4 Männern geschoben, die mit Fischerhosen mindestens knietief im Wasser stehen, als wir das Boot erreichen. Das Boot wippt in den kleinen Wellen auf und ab, aber dank unseres fahrbaren Untersatz ist es für uns nur ein kleiner Schritt und wir sind trockenen Fußes im Boot. Bei der anschließenden Bootsfahrt sehen wir 7 Pinguine, die am Ufer der kleinen Inselchen die Hügel hinauf und hinunter watscheln oder ins Wasser springen. Außerdem wimmelt es an den Inseln nur so vor unzähligen Vogelarten und auch ein schläfriger Seelöwe lässt sich blicken. Außer uns sind nur Chilenen an Board und alle überhäufen den Guide mit vielen Fragen zu den Tieren. Wir fragen uns wie so eine Tour mit deutschen Passagieren ablaufen würde…

Da wir die letzte Tour des Tages gemacht haben, nimmt uns danach unser Guide in seinem Pickup ein Stück mit in Richtung Ancud. Er ist nebenbei Farmer und zeigt uns stolz seine Weiden mit Kühen. Den Rest des Weges nehmen uns drei Männer in ihrem Pickup mit, die als Guides und Bootsfahrer/Stegschieber für einen anderen Betreiber arbeiten. Scherzhaft fragen sie, warum wir denn die Tour nicht bei ihnen gemacht hätten. Wir bekommen von ihnen Tipps für günstiges Bier, das bei der Landbevölkerung hier sehr beliebt ist und außerdem empfehlen sie uns einen Strand, wo wir es uns mit Bier und Chips zum Vögel beobachten gemütlich machen sollen. Alkoholkonsum ist in der Öffentlichkeit zwar nicht erlaubt, aber laut Aussage der lustigen Truppe gilt hier „Man sollte nicht, aber man kann“.
Einen Tag später fahren wir mit einem Bus in die 1,5 Stunden entfernte Inselhauptstadt Castro. Hier bleiben wir ebenfalls eine Nacht und besuchen mittags den Handwerksmarkt im kleinen Nachbarort Dalcahue. Mittags essen wir hier in einer Markthalle mit Blick auf die Fischkutter das traditionelle Inselgericht Curanto. Dabei handelt es sich um ein Netz gefühlt mit verschiedenen Muschelsorten, chilenischer Chorizo, Hühnchen und Maisbrei. Alles wird traditionell in einem Loch in der Erde gegart. Für umgerechnet 9€ teilen wir uns die riesige Portion, dazu gibt es scharfe Ají Soße. Nachmittags flüchten wir dann vor dem unablässigen Regen in unser Hostel und wärmen uns im dunklen, aber doch irgendwie heimeiligen Wohnzimmer vor einem elektrischen Ofen. Chiloé ist einer der feuchtesten Orte der Welt, Regen ist hier quasi ein dauerhafter Begleiter.
Für die nächsten zwei Tage haben wir eine Wanderung zu einem einsamen Strand mitten im Nationalpark Chiloé geplant und Ann zweifelt im Angesicht des Regens und der Kälte an unserem Verstand das auch wirklich durchzuziehen. Mental auf das Schlimmste vorbereitet, werden wir positiv überrascht: uns erwarten, völlig untypisch für Chiloé, zwei trockene Tage mit viel Sonne und relativ milden Temperaturen. Wir fahren mit einem kleinen Bus quer über die Insel zum Eingang des Nationalparks und werden schon Mal mit den ersten tollen Ausblicken auf die Wanderung eingestimmt. Die Wanderung führt uns durch unglaublich breite Sanddünen entlang der Küste, zu unserer Linken immer der Pazifik und zu unserer Rechten hohe Steilklippen, gesäumt von gemäßigtem Regenwald. Wir durchqueren einen kleinen Pril und folgen dem Pfad aus sich abwechselndem Sand und Schotter. Wir haben das letzte Dorf längst hinter uns gelassen und treffen nur noch auf kleine Häuseransammlungen. Nachdem wir einen guten Teil der Strecke hinter uns haben, legen wir eine Mittagspause, mit Blick hinunter auf eine kleine Bucht, ein. Anschließend machen wir uns an den letzten und steilsten Teil der Wanderung. Wir sind schon ziemlich erschöpft und haben die letzten Kilometer vor Augen – Max Rucksack wiegt fast 20 kg und Ann trägt 10 kg. Wir haben alleine 4 Liter Wasser dabei, dann noch Essen und Campingequipment inklusive Schlafsäcken, Zelt, Isomatten und Gaskocher. Der abgelegene Strand Cole Cole verfügt nur über einen sehr rudimentären Campingplatz und wir haben schon vorab gehört, dass es dort keine Möglichkeit zum Wasser auffüllen gibt. Mit unserem Gepäck machen wir uns auf den Weg hinunter zu einem weiteren Strand. Hier sollen wir laut Route in der Kartenapp Maps.me rechts abbiegen, um einen Fluss an einer Brücke zu überqueren. Wir haben die Abzweigung verpasst und müssen wieder ein Stück zurück, wir stapfen also durch den Sand. In den Dünen sehen wir Wildpferde grasen. Als wir am auf der Karte eingezeichneten Weg ankommen, stehen wir vor einem geschlossenen Tor zu einer kleinen Häusersiedlung. Vorher hatten wir gelesen, dass der Weg hier über einen Privatweg einer indigenen Siedlung führt (gegen eine Gebühr von einem Dollar darf man diesen nutzen), daher wundern wir uns nicht und öffnen selbstbewusst das Gatter. Weit und breit ist kein Mensch zu sehen, also folgen wir dem Weg an der Siedlung vorbei und vermuten, dass aufgrund der Nebensaison noch niemand mit Wanderern rechnet. Nach 5 Minuten stehen wir allerdings vor einem weiteren Tor und das ist so verrammelt, dass es so ohne weiteres kein Durchkommen gibt. Auf der anderen Seite ist ein Feld angelegt, der Weg scheint nicht mehr zu existieren. Dann sehen wir in einiger Entfernung auf der anderen Seite einen Mann, wir rufen und er macht uns mit Zeichen klar, dass wir falsch sind und über den Strand zurück müssen. Mist! Wir folgen dem Weg also wieder zurück bis zum Zaun, der die Siedlung umrundet und schauen, ob wir hier nicht irgendwo auf die andere Seite, zurück auf den Strand kommen. Das würde uns einiges an Weg ersparen. Wir finden tatsächlich ein Loch im Zaun, durch das wir zurück können. Ann krabbelt zuerst unter dem Zaun durch und nimmt den ersten Rucksack entgegen, doch dann stockt sie und krabbelt wieder zurück auf die andere Seite des Zauns. Der Leithengst der Wildpferde kommt in flotten Tempo direkt auf uns zu und es ist klar, dass er uns vertreiben will. Da wir nun wieder auf der anderen Zaunseite stehen trabt er an uns vorbei um die Ecke. Als er weg ist, krabbelt Ann wieder unter dem Zaun durch und checkt die Lage: der Hengst steht nun direkt hinter der Ecke und hinter ihm eine Stute mit einem ganz jungen Fohlen. Diese wollte er natürlich beschützen. Die dichte Hecke hat die beiden vor uns verborgen, sodass wir nicht sehen konnten was hinter der Ecke ist. Wir entfernen uns zügig und bringen genug Abstand zwischen Stute, Fohlen und uns. Damit ist der Hengst nun auch wieder zufrieden und wir stapfen weiter durch den Sand. Kurze Zeit später sehen wir auch eine orange Markierung, die uns zur Brücke führt. Jetzt geht es nur noch einen sehr steilen Berg hinauf. Als wir oben angekommen sind, atmen wir kurz durch, genießen den Ausblick und machen uns dann an den Abstieg zum Cole Cole Strand! Es geht einen steilen Pfad hinunter, der uns entlang der Steilklippen in Zickzacklinien zum Strand führt. Von hier erhaschen wir bereits einen ersten Blick auf das Ziel unserer Wanderung. Vorher hatten wir gescherzt, dass wir um die letzte Kurve biegen und dann 30 Zelte vor uns sehen würden. Aber der Strand liegt tatsächlich komplett verlassen unter uns. Nach erfolgreich bewältigten 20 Kilometern erreichen wir endlich den Campingplatz. Die Gebäude sind alle verlassen und verfallen, aber es gibt noch intakte Picknicktische.

Wir bauen unser Zelt auf, erkunden den Strand und genießen die Ruhe. Vögel und Wellen sind die einzigen Geräusche. Es begleitet uns ein ganzer Schwarm grüner Papageien, die immer wieder über den Campingplatz fliegen. Abends kochen wir uns schließlich etwas, dazu gibt es heißen Tee. Ohne Sonne wird es abends jedoch schnell kalt und wir verziehen uns völlig erledigt früh in unser windgeschütztes Zelt. Zum Rauschen der Wellen schlafen wir ein und morgens wachen wir mit dem gleichen Geräusch wieder auf. Der Strand ist weiter menschenleer. Nach dem Frühstück packen wir alles wieder ein und machen uns auf den Rückweg. Die 15 Kilometer laufen sich heute wie von selbst (wir sind schließlich einige Vorräte los geworden) und wir genießen die Sonne und den Ausblick über die weite Dünenlandschaft. Auf unserer Wanderung treffen wir außer ein paar Einheimischen vor ihren Häusern niemanden. Pünktlich für den nächsten Bus erreichen wir das erste Dorf mit asphaltierter Straße und dankbar steigen wir hier einige Kilometer vor dem Ausgangspunkt bereits ein. Müde, aber glücklich fahren wir über Castro zurück nach Ancud. Hier schlafen wir nochmal eine Nacht und holen unsere großen Backpacks ab. Am nächsten Tag geht es dann zurück aufs Festland. Wir hatten keine wirklichen Erwartungen an Chiloé und sind nun bei der Abreise ein bisschen verliebt in diese wunderschöne Insel! Wir haben nur Teile des Nordens und Zentrums gesehen, es gibt also bei einer Rückkehr noch sehr viel mehr zu erkunden…

Zurück in Puerto Varas checken wir in ein sehr gemütliches Hostel in einem lichtdurchfluteten Holzhaus ein. Hier entspannen wir erstmal und geben unsere Wäsche zum Waschen ab. Gerade noch rechtzeitig, denn da wir ab dem nächsten Tag erstmal für ein paar Tage an einem anderen Ort in der Region Campen wollen, muss diese am nächsten Morgen schon wieder fertig sein. Für uns wäre es okay gewesen, die Wäsche erst in drei, vier Tagen nach unserer Rückkehr abzuholen, aber dann sind zwei Freitage und die Wäscherei ist wegen des langen Wochenendes drei Tage geschlossen. Wir merken einmal mehr: Chile ist, was organisatorische Dinge angeht, deutlich komplizierter als Peru, Ecuador oder Kolumbien. Wir passen unsere Abfahrt am nächsten Morgen also geringfügig an die Wäscherei an und üben uns einmal mehr in Flexibilität.