Die Fahrt nach Medellin läuft zunächst überraschend reibungslos. Wir schreiben über WhatsApp dem Tuktukfahrer, der uns einige Tage vorher vom Busstopp in San Onofre nach Rincon del Mar brachte und er bringt uns wieder nach San Onofre. Dort holen wir im Büro der Busgesellschaft unsere Tickets ab und warten noch ein wenig. Max besorgt in der Zwischenzeit ein paar Snacks. Wir sind ja lernfähig und wissen jetzt, dass in Kolumbien nicht unbedingt ein Mittagsstopp bei langen Busfahrten dazugehört (die Fahrer haben Snacks dabei und wechseln sich in einem der unerlässlichen Staus ab, also besteht keine Not zu halten). Dann kommt auch schon der Bus, überraschend pünktlich. Und so geht es tatsächlich weiter. Die ersten Stunden der Fahrt sind wir durchgehend im Soll und wir machen uns schon Hoffnungen, vor offiziellem Schluss der Rezeption unseres Hostel um 23 Uhr dort anzukommen. Wir hatten dem Hostel vorab kommuniziert, dass das bestimmt nichts würde, da der Bus um 21:15 Uhr ankommen soll (übersetzt für Gringos: keinesfalls vor 23 Uhr). Die Antwort des Hostels war uneindeutig, aber wir setzten aufs Prinzip Hoffnung. Diese zerschlägt sich allerdings an der ersten kurvigen Straße, die sich die Ausläufer der Anden hochwindet. Auf wenigen Kilometern handeln wir uns zwei Stunden Verspätung ein. Kein Problem, denken wir noch, wird schon alles klappen und was sollten wir auch tun. Ein wenig Schicksalsergebenheit benötigt jeder Reisende ganz oben im Gepäck. Als wir um 21 Uhr eine Pause zum Abendessen einlegen und es mitten im Nirgendwo tatsächlich WLAN gibt, schreiben wir dem Hostel dennoch und warnen schonmal vor, dass wir definitiv zu spät kämen. Die Antwort: Sorry, das wird nichts. Mit ein wenig Nachdruck geht’s dann aber doch und so können wir gegen ein Uhr Nachts nach 15 Stunden im Bus doch in unsere Betten kriechen. Locombia!
Den folgenden Tag (unser 3. Hochzeitstag) lassen wir ruhig angehen. Erstmal gibt’s ein üppiges Frühstück im Café und im Anschluss erkunden wir per Metro die Stadt. Das geht in Medellin hervorragend, besteht das System doch vorrangig aus Hochbahnen und Seilbahnen (ja, Gondeln!). So können wir beispielsweise mit einem Fahrschein für rund 65 Cent über die Dächer der Stadt hinweg auf einen der Hügel fahren. Dort genießen wir unser Mittagessen mit fantastischer Aussicht über die größtenteils roten Häuser der Stadt, die sich im Tal und über die vielen Hügel dicht gedrängt erstrecken. Das Metrosystem und insbesondere die Seilbahn errichtete die Stadt im Rahmen der großen Transformationskampagne Medellins von der gefährlichsten Stadt der Welt in den Neunzigern zur innovativsten Stadt der Welt 2012. Der Hintergrund: Die ärmsten Viertel südamerikanischer Städte sind üblicherweise auf den umgebenden Hügeln gebaut. Man denke an die Favelas in Rio de Janeiro. Durch den Bau der Seilbahnen in Medellín wurden diese Viertel an die Stadt angeschlossen und damit ein wichtiger Beitrag in deren Entwicklung geleistet. Zusammen mit weiteren Investitionen in Schulen und öffentliche Plätze hat die Stadt diesen Wandel geschafft. Schaut man heute aus der Seilbahn auf diese ärmeren Viertel hinunter, schaut man zwar immer noch auf Viertel, die man lieber nicht zu Fuß erkunden sollte, doch man erblickt auch nicht das große Elend wie vor zwanzig Jahren noch. Das kann als großer städteplanerischer Erfolg gewertet werden und ermöglicht Touristen nebenbei günstig eine grandiose Aussicht. Eine weitere Möglichkeit, sich den Wandel vor Augen zu führen ist die Stadtführung durch die Communa 13, einst das gefährlichste Viertel in der gefährlichsten Stadt und heute Touristenmagnet. Bei der Führung lernen wir nochmal viele Details aus der Zeit des Wandels. Unsere Führerin ist selber in diesem Viertel aufgewachsen und wohnt dort.

Abends gönnen wir uns im schicken Ausgehviertel Laureles grandiose Pizzen. Sie landen definitiv in den Top drei unser beider Lieblingspizzalisten. Hier zahlt man allerdings auch europäische Preise und das mitten in Kolumbien. So erleben wir live einen der Nachteile des Wandels der Stadt. Heute zieht es nämlich mehr und mehr Ausländer hierher, um hier zu leben und digital zu arbeiten. Diese erwarten einen ähnlich hohen Lebensstandard wie in den jeweiligen Heimatländern, weshalb in Medellín mehr und mehr teure Bars und Restaurants entstehen. Außerdem steigen die Preise für Wohnraum ins unermessliche, da findige Spekulanten längst erkannt haben, dass die Ausländer mehr Geld zum Wohnen ausgeben können als Einheimische. Zum Vergleich: der Mindestlohn in Kolumbien beträgt 250€ im Monat und ein Arzt im Krankenhaus sagte uns, er verdiene etwa 1800€ im Monat. So wird die Stadt mehr und mehr unbezahlbar für Einheimische. Hinzu kommen noch die explodierenden Zahlen an Touristen, die im Urlaub auch gerne mehr als 3€ für ihr Essen ausgeben, von deren Einfluss auf die Verfügbarkeit von Wohnraum ganz zu schweigen. Wir sind froh, dass wir durch unser geringes Reisebudget nur lokale Pensionen und Restaurants unterstützen und so nicht noch zusätzlich dazu beitragen. Uns wird aber auch mehr und mehr klar, dass wir ganz bewusst darauf achten wollen. Dazu gehört zum Beispiel auch der Einkauf in kleinen Lädchen, statt des gemütlichen Einkaufs im großen Supermarkt.
Jetzt sind wir ganz schön abgeschweift, aber wir wollen euch auch an unseren Gedanken teilhaben lassen. Unser Besuch in Medellín wirft aber auch tatsächlich einige Fragen auf. So zum Beispiel bei der Führung durch die Stadtmitte am nächsten Morgen. Der Guide zeigt uns nicht nur die einzelnen Orte und beschreibt, wie verschieden er sie in seiner Kindheit erlebt hat. Er redet auch viel über den Wandel der Stadt und des Landes. In seiner Kindheit war der Schulweg jeden Tag aufs Neue ein Wagnis. Heute kann man sich tagsüber fast überall in Medellin frei bewegen und auch nachts muss man eher um seine Sachen fürchten als um sein Leben. Und das gilt für den Großteil des Landes. Diese Entwicklung ist erst in den letzten Jahren so positiv. Bis in die Zweitausender gab es in Kolumbien durchgehend bewaffnete Konflikte zwischen den Guerillas im linken politischen Spektrum, den paramilitärischen Gruppen im rechten Spektrum, den Drogenbossen und der Regierung. Auch das Ausschalten der großen Drogenkartelle in den Achtzigern und Neunzigern führte nur dazu, dass andere die Geschäfte übernahmen und die Konflikte zwischen den drei übrigen Gruppen weiter gingen. Erst 2017 wurde ein Friedensvertrag zwischen der größten Guerillabewegung, der FARC, und der Regierung geschlossen, der für mehr Ruhe sorgte. Aber auch dieser steht auf wackeligen Beinen und die verbliebenen bewaffneten Gruppen, allen voran die ELN, sorgen bis heute für Gewalt in einzelnen Landesteilen. Die Geschichte der bewaffneten Konflikte in Kolumbien ist also keinesfalls nur eine der Drogenkartelle und auch nicht weit zurück liegend. Hier könnte man noch deutlich mehr ins Detail gehen, allerdings reicht es für den Moment zu wissen, dass es eine blutige Geschichte ist, die ihren Höhepunkt in der Zeit des berüchtisten Verbrechers des Landes hatte, Pablo Emilio Gaviria Escobar. Der größte Verbrecher in der Geschichte Kolumbiens wird jedoch heutzutage, unterstützt durch Serien wie Narcos, von vielen Touristen auf makabere Art und Weise verehrt. Das reicht so weit, dass auf den Straßen sogar Fanartikel verkauft werden. Das ist für die meisten Kolumbianer unerträglich. So entschließen wir uns also, obwohl Medellín die Schaltzentrale seines Imperiums war, von jeglichen Touren rund um Escobar Abstand zu nehmen.
Nach der Stadtführung setzen wir uns noch mit zwei Spaniern, zwei Brasilianerinnen und einem Holländer in eine nahegelegene urige Kneipe und trinken ein Bierchen zur Erfrischung. Die beiden Brasilianerinnen laden uns nach Sao Paolo ein, das werden wir sicherlich irgendwann im nächsten Jahr in Anspruch nehmen. Im Anschluss gehen wir noch alle gemeinsam Chorizo essen. Die kolumbianische Chorizo hat allerdings wenig mit der spanischen Chorizo zu tun. Das gefällt den Spaniern nicht so gut, aber sie essen trotzdem tapfer auf. Wir finden die kolumbianische Chorizo jedoch lecker und es war weder unsere erste, noch wird es unsere letzte gewesen sein. Als wir uns verabschieden, verabreden wir uns für den nächsten Abend, um gemeinsam zu den Livekonzerten anlässlich des jährlichen Blumenfestes zu gehen. Der Guide hatte uns erklärt, dass es weniger um die Blumenparaden geht, als um einen Grund zu feiern, bzw. für Parranda wie die Kolumbianer sagen. Leider bleiben die anderen im Touriviertel Poblado hängen, weshalb wir zu zweit hingehen. Und tatsächlich: die gesamte Hauptstraße des Stadtteils Laureles ist gesperrt. Musik tönt aus den die Straße säumenden Bars und Unmengen Menschen sind unterwegs. Dazwischen schieben und drängeln sich allerhand Verkäufer durch die Menschenmassen und versuchen ihre Waren vornehmlich flüssiger Natur loszuwerden. Am kreativsten sind nicht die in Gruppen auftretenden gelb gekleideten mike’s (Vodka-Lemon) Verkäufer, die wir Minions nennen, sondern die Hockerverkäufer. Sie haben Kunsstoffhocker im Angebot, die weg gehen wie warme Semmeln. Manche Gruppen legen sich nicht nur Hocker als Sitzgelegenheit, sondern auch als Tischchen zum Abstellen der diversen Getränke zu. Wir drängeln uns immer weiter in Richtung Bühne, langsam wird der Lärm der Musik aus den Bars vom aus den meterhohen Boxentürmen schallenden Sound der Livemusik übertönt. Alles in allem ein ohrenbetäubender Lärm, aber grandioser Spaß. Jedoch scheinen wir die einzigen Gringos zu sein, die sich das Spektakel nicht entgehen lassen wollen. Die meisten Gringos bleiben im Touristenviertel unter sich, aber jeder wie er mag. Wir stürzen uns lieber ins Getümmel vor der Bühne. Nur das mit dem Tanzen trauen wir uns nicht so richtig, ob der um uns herum dargebotenen geschliffenen Salsaperformances. Als wir KO sind, setzen wir uns in eine Bar, trinken Bier und einige kostenlos angebotene Aguardiente. Dieser Schnapps wird überall in Kolumbien getrunken. Man ist der Meinung, das sei etwas einzigartiges und zieht lange Gesichter, wenn wir sagen, dass der Geschmack für uns nichts Besonderes ist, es schmeckt einfach nach Ouzo. Insofern Prost! Wer einen Eindruck der gespielten Musik bekommen möchte, der kann sich gerne das im Folgenden eingebettete Video ansehen (unser Lieblingssong des Abends und ein ziemlicher Ohrwurm).
Nach schönen und spaßigen Tagen in Medellin geht es für uns weiter nach Guatape, einem kleinen Dorf an einem großen Stausee in der Nähe der Großstadt. Bekannt ist der Ort wegen eines Felsens, der aus dem Nichts neben dem See aufragt und wirkt, als hätte ihn jemand in der Landschaft abgestellt und vergessen. Insbesondere die Aussicht von der Spitze soll fantastisch sein. Ann geht es leider nicht gut, sie hat sich eine Lebensmittelvergiftung eingefangen. Daher verbringt sie die nächsten Tage größtenteils im Bett. So erkundet Max die Gegend wesentlich umfangreicher als geplant, eigentlich wollten wir nur zwei Tage bleiben. Er erklimmt natürlich den berühmten Felsen und genießt die Aussicht, die für die über 600 Stufen belohnt. In den Bergen, die den Ort säumen, entdeckt er jedoch noch einen wesentlich besseren Aussichtspunkt als den Fels. Der wirklich wunderschöne Stausee ist von hier noch viel besser zu sehen. Und der Fels scheint aus dem Nichts herauszuwachsen.

Außerdem nutzt er die Zeit um in der guten Hostelküche zu kochen. So kommen wir in diesen Tagen tatsächlich mit einem Budget von knapp 20€ aus. Auch eine Errungenschaft! Nach einer Woche geht’s Ann wieder etwas besser, sodass wir uns auf den Weg gen Süden nach Salento mit einem Zwischenstopp in Medellin machen.

Vielen Dank für diesen interessanten und informativen Bericht und das coole Video mit viel Sexappeal, welches besser zu einem Mojito als zu meinem „Morgengruß“ gepasst hätte. LG Karin
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Passt super zu Mojito, aber ein kühles Bier tuts auch 😉
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