Wüstenexpedition zum nördlichsten Punkt Südamerikas

Unsere nächste Station Riohacha fühlt sich wie der Ausgangspunkt einer echten Wüstenexpedition an. Als wir mittags ankommen, taumeln wir mitten in die trockene Hitze und das Verkehrschaos der Stadt. Nach der entspannten, aber auch nur für Touristen gemachten, Atmosphäre in Palomino sind wir hier wieder mitten im echten Kolumbien angekommen. Ununterbrochene Hupkonzerte, Kolonnen aus Trucks und Lastwagen, die die halbe Stadt blockieren und laut rufende Händler bzw. Taxifahrer heißen uns willkommen. Riohacha liegt nahe der Grenze zu Venezuela und ist der letzte Verkehrsknoten im Norden Kolumbiens. Wir haben eine Mission: Nach einem kurzen Stopp in der angenehmen Kühle unserer Klimaanlage im Zimmer stürzen wir uns wieder ins Getümmel und arbeiten unsere Einkaufsliste ab. Nachdem wir Snacks, 3 Wasserkanister a 6 Liter, Mosquitospray und Sonnencreme mit LSF 70 (!) besorgt haben, müssen wir nur noch herausfinden, wie wir denn am nächsten Tag nun nach Cabo de la Vela (dem Ausgangspunkt unserer „Wüstenexpedition“) kommen können. Zum Glück kann uns die nette Dame an der Rezeption weiterhelfen und erklärt uns die zwei Möglichkeiten: entweder wir buchen eine Tour direkt ab Riohacha (ohne Sorgen, alles drin) oder wir fahren auf eigene Faust mit Sammeltaxis in die Wüste der Halbinsel Guajira.

Die Verkehrsanbindung klingt machbar und so starten wir am nächsten Morgen früh und voll motiviert Richtung Wüste. Unsere großen Backpacks lassen wir in Riohacha im Hostel und sind so einmal mehr nur mit Tagesrucksäcken on the road. Naja, so ganz stimmt das dieses Mal nicht – immerhin schleppen wir noch 18 Liter Wasser und allerlei Snacks mit. Anhand unserer Wasservorräte könnten die Taxifahrer eigentlich direkt erkennen wohin es gehen soll, aber trotzdem fragt uns jeder, ob wir Gringos nach Palomino wollen. Nein – für uns bitte die andere Richtung… Wir erklären also, was wir vorhaben. Kurze Zeit später sitzen wir dann in unserem ersten Fahrzeug des Tages. Das Sammeltaxi ist ein dicker Fordvan mit röhrendem V8 Motor und 3 Sitzreihen, die bis auf den allerletzten Millimeter besetzt werden. Ann krabbelt nach kurzer Zeit das Baby ihrer Sitznachbarin auf den Schoß. Diese ist mit einem zweiten Kind auf dem Schoß eingeschlafen. Außerdem steigt noch ein Pastor ein, der Spenden sammelt und eine Predigt hält. Die Fahrt vergeht wie im Flug und nach einer Stunde Fahrt stellen wir fest, dass wir nicht direkt nach Uribia fahren (wie uns gesagt wurde), sondern an der letzten großen Kreuzung vor der Grenze nach Venezuela umsteigen müssen. Für die restlichen Fahrgäste geht’s weiter Richtung Grenzstadt Maicao, von der sich Gringos allerdings eher fernhalten sollten. Wir klettern also aus dem Auto und werden direkt von mehreren Taxifahrern umringt, die uns relativ teure Preise für unsere Weiterfahrt nach Uribia anbieten. Da wir allerdings, mitten an einer Kreuzung und außerhalb jeglicher Stadt, nicht wirklich die Wahl haben, schlagen wir schließlich ein und schaffen es wenigstens den Preis noch ein bisschen runterzuhandeln. Wir sind jedoch ziemlich entspannt, die Kreuzung ist trotz der abgeschiedenen Lage belebt und wir sind extra tagsüber unterwegs (für den Fall genau solcher unvorhergesehener Verzögerungen), damit wir alle Zeit haben bei Tageslicht und in Ruhe anzukommen. Obwohl wir nie viel planen, können wir doch von uns behaupten nie blindlings irgendwo herumzustolpern und Ann, unsere „Sicherheitsberaterin“, ist stets über aktuelle sicherheitspolitische Entwicklungen informiert. Max hat dafür im Gegenzug die Rolle des „Navigators und Finanzberaters“.

Nach einer Stunde Fahrt in einem kleinen Auto kommen wir also in Uribia an. Die Stadt wird auch „Hauptstadt der indigenen Bevölkerung Kolumbiens“ genannt und es fällt schwer eine gute Beschreibung zu liefern. Am ehesten trifft es wohl ein Mix aus Bretterbuden und wenig ansehnlichen Häusern zwischen karger Landschaft, tausenden von Plastiktüten und Müll soweit das Auge reicht. Aber auch die farbenfrohen Kleider der indigenen Frauen und hunderte Fahrradrikschen prägen das Stadtbild. Wir werden direkt bei der Haltestelle für unsere Weiterfahrt nach Cabo de la Vela abgeliefert und so beschränkt sich unser Aufenthalt auf etwa eine Stunde. Irgendwie sind wir gleichzeitig erleichtert, die chaotische Stadt wieder verlassen zu können und doch ist Uribia einer dieser Orte, die auf eine ungewöhnliche Weise interessant sind. Unser drittes Fahrzeug des Tages ist nun ein Geländewagen mit Allradantrieb. Denn nun geht es abseits befestigter Straßen über eine holprige Schotterpiste nach Cabo de la Vela.

Die Landschaft wird immer trockener und noch karger als zuvor. Nach einer Weile glaubt Ann Wasser am Horizont zu entdecken. Ein See? Max lässt sie in dem Glauben und schon kurze Zeit später beginnt Anns „See“ über dem staubigen Boden zu flimmern… So schnell kann man also auf eine Fatamorgana hereinfallen. Nach 1,5 Stunden Fahrt kommen wir ziemlich staubig in Cabo de la Vela an. Wir sind richtig glücklich, eine Unterkunft etwas abseits des kleinen Hauptortes gebucht zu haben. Das Hostel Mar Paraiso ist wirklich ein kleines Paradies und unser Zimmer befindet sich, gemeinsam mit einem weiteren Zimmer, in einer kleinen Holzhütte direkt am Strand. Wenn wir in unserem Bett liegen, können wir bei offener Tür auf das Meer, die Hängematten und Schaukel vor unserer Hütte schauen. Nachts hören wir das Rauschen der Wellen. Wir haben es ziemlich gut getroffen!

Unsere Unterkunft in Cabo

Nachdem wir frittierten Fisch (lokal geangelt vom Familienvater der Unterkunft) zu Mittag gegeessen und eine kleine Siesta in den Hängematten eingelegt haben, brechen wir auf zu einem Strandspaziergang. Wir laufen den Strand entlang bis zum Zentrum des Hauptortes, das aber eigentlich auch nur aus Strandhütten besteht. Doch trotzdem ist die Stimmung hier ganz anders, als an unserem Strandende: Bars und Restaurants reihen sich in den Strandbuden aneinander und unzählige Kitesurfer tummeln sich im Wasser. Verantwortlich für die vielen Kiter sind zwei Kiteschulen, die den Ort in der Szene super bekannt gemacht haben. Und so kommt es, dass es einige Touranbieter gibt, die Backpacker für zwei Tage zum Kiten nach Cabo bringen. Der ganze Tourismus hier ist jedoch mehr oder weniger auf die Kiteschulen konzentriert, sodass die ansonsten sehr arme Bevölkerung der Umgebung nicht wirklich davon profitiert. Die Halbinsel Guajira ist die ärmste Region Kolumbiens und von vielen Problemen gebeutelt. Es gibt kein fließendes Wasser und in der staubtrockenen Landschaft fällt selten Regen. Neben der Wasserknappheit sieht die Bevölkerung, die überwiegend aus dem indigenen Volksstamm der Wayuu besteht, sich außerdem immer wieder gewaltsamen Vertreibungsversuchen durch Guerrilla und Drogenkartelle ausgesetzt, die versuchen die Grenzregion zu Venezuela und somit die Drogenrouten zu kontrollieren. Wenigstens ein paar Familien können jedoch mit den Bars, Restaurants und dem Verkauf von Souvenirs Geld verdienen. Darüber hinaus versuchen sich viele Kinder und auch Erwachsene mit Betteln am Strand über Wasser zu halten. Leider sehen wir auch morgens einige Kinder, die am Strand nach Touristen Ausschau halten, statt in die Schule zu gehen. Ohne Schuldbildung sieht die Zukunft der Kinder dann wahrscheinlich nicht viel anders aus. Die Kinder unserer Gastgeberfamilie haben es dagegen besser und können zur örtlichen Schule gehen.

Unsere Unterkunft ist eher einfach, aber das tut der Strandatmosphäre keinen Abbruch. Max arrangiert sich mit dem Gedanken, dass es keine Chance gibt unser Bett sandfrei zuhalten. Da es kein fließendes Wasser gibt, bekommen wir zum Duschen einen Eimer und eine Schöpfkelle. Das kennen wir so auch schon aus Indonesien. Die Regentonne der Familie ist ziemlich leer und wir bemühen uns mit so wenig Wasser wie möglich auszukommen. Die Bezeichnung „Wasser, das Gold der Wüste“ trifft es hier auf jeden Fall ziemlich genau. Wir sind froh über unsere mitgebrachten Wasserkanister, denn alles Trinkwasser muss auch per Geländewagen herangeschafft werden und ist entsprechend teuer. Die Sonnenuntergänge hier so weit im Norden Südamerikas sollen mit die Schönsten des ganzen Kontinents sein und so sitzen wir pünktlich um 18 Uhr erwartungsvoll auf der Schaukel vor unserem Zimmer. Wir werden nicht enttäuscht – unser erster Sonnenuntergang in Cabo de la Vela ist wirklich schön und der Himmel färbt sich von Orangerot zu Knallpink und anschließend Zuckerwatterosa.

Am nächsten Morgen wachen wir früh mit dem Rauschen der Wellen auf und genießen die entspannte Morgenstimmung. Wir verbringen den halben Tag an unserem Strandende, bis wir nachmittags zu einer Sonnenuntergangstour, die wir spontan am Vortag gebucht haben, aufbrechen. Mit der üblichen Verspätung starten wir im Geländewagen und fahren Offroad zu einem abgelegenen Strand umrahmt von Klippen, vor denen das Meer wild tobt. Die weite Wüstenlandschaft, der blaue Himmel und die aufspritzende Gicht wirken wie gemalt. Dann geht’s weiter und wir düsen zu dem bekanntesten Aussichtspunkt Cabos. Der Pilón de Azúcar (Zuckerhut) ist ein Berg der spitz aus der Wüste empor ragt und zum Meer hin steil abfällt. Wir folgen einem kleinen Schotterpfad bergauf und kommen nach 15 Minuten am Gipfel, den wir komplett für uns alleine haben, an. Von hier haben wir einen tollen Blick über die Strände, die Küste und die dahinterliegende Wüstenlandschaft. Da es hier oben extrem windig ist, machen wir uns nach kurzer Zeit wieder an den Abstieg. Anschließend fahren wir noch zu zwei Hügeln, von denen wir auch eine schöne Aussicht über die Küste haben. Die Anzahl an Aussichtspunkten ist hier tatsächlich inflationär. Zum Sonnenuntergang folgt dann noch ein weiterer Aussichtspunkt – am Fuße des Leuchtturms von Cabo warten wir, während die letzten Sonnenstrahlen des Tages vor uns im Meer versinken. Es folgt ein wunderschöner Sonnenuntergang, allerdings sind hier deutlich mehr Leute, als an unserem Strandende. Nach Sonnenuntergang brettern wir dann wieder im Geländewagen zurück, unser ortskundiger Fahrer kennt die besten Schleichwege.

Pilón de Azúcar

Nach den entspannten Tagen in Cabo geht es am nächsten Tag weiter durch die Wüste zum nördlichsten Punkt Südamerikas. Wir haben auf unserer Hinfahrt nach Cabo über den Fahrer des Geländewagens den Kontakt zu einer lokalen Agentur bekommen, über die wir den Hin- und Rücktransport nach Punta Gallinas organisieren. Also stehen wir pünktlich um 5 Uhr morgens vor unserer Unterkunft an der Straße und warten auf unsere Abholung. Natürlich dauert es wieder eine ganze Zeit, bis wir dann tatsächlich abgeholt werden. Immerhin konnten wir in der Zwischenzeit den Sonnenaufgang genießen. Als es dann losgeht, holen wir noch ein kolumbianisches Paar ab, die ebenfalls für eine Nacht in Punta Gallinas bleiben wollen. Im etwas rappeligen Geländewagen geht es dann 2,5 Stunden ohne befestigte Straßen quer durch die Wüste. Unterbrochen wird die Fahrt jedoch immer wieder durch Straßensperren. Davon hatten wir schon vorher gehört und sind deswegen nicht verwundert. Da wir uns hier mitten im Wayuu Territorium befinden, verlangen immer wieder Kinder und manchmal auch Erwachsene, einen „Wegezoll“. In den meisten Fällen reichen die von unserem Fahrer mitgebrachten Kekse. An einer Straßensperre muss unser Fahrer jedoch härter verhandeln, Kekse wollen die Kinder dort nicht. Die Straßensperre Nr. 6 auf unserem Weg wird etwas professioneller betrieben: hier müssen wir am Getränkestand etwas kaufen, damit wir durchfahren können. Der richtige Zeitpunkt für einen Kaffee, es ist immerhin gerade Mal 8 Uhr. Durch die Sperren 7 und 8 fahren wir einfach durch. Sperre 9 wird für uns geöffnet, die ist auf die andere Fahrtrichtung spezialisiert. Es scheint schon irgendein System zu geben, aber so richtig möchte unser Fahrer nicht über die Straßensperren sprechen. Nach der 15. Sperre hören wir auf zu zählen. Nachdem wir weiter durch die Wüste fahren und mehrere Salinen passiert haben, kommen wir schließlich an einem Fluss an. Hier wartet ein kleines Fischerboot, das uns auf die andere Seite bringen wird. Wir verabschieden unseren Fahrer und setzen über. Die kleine Nussschale ist nicht wirklich für Passagiere ausgelegt, Max und die zwei Kolumbianer sitzen auf einem Holzbrett und Ann auf dem Fischernetz. Als wir den Hang auf der anderen Flussseite hochsteigen, können wir sehen, dass es sich nicht um einen Fluss, sondern vielmehr um einen weit ins Landesinnere gezogenen Meereearm handelt.

Unser neuer Fahrer, von der anderen Flussseite, fährt uns anschließend mit einem deutlich größeren Geländewagen den letzten Rest des Weges zu unserer Unterkunft. Hier werden wir heute Nacht in Hängematten unter einem Holzdach übernachten und nachmittags mit unserem Fahrer eine Tour durch die nähere Umgebung machen. Den Vormittag verbringen wir aber zunächst an einem der Strände in einer der scheinbar unendlich vielen Buchten der Landzunge, auf der unsere Unterkunft liegt. Die Landschaft wirkt fast surreal. Adler ziehen ihre Kreise über uns und außer Ziegen und Eidechsen scheint es in der kargen Landschaft kaum Leben zu geben.
Nachmittags brechen wir dann zu unserer Tour auf. Zuerst geht es zu einem Aussichtspunkt über die karge Landschaft und anschließend fahren wir zu einer riesigen Düne. Wir laufen einmal über die Düne und auf der anderen Seite springen wir in das angenehm frische Meer. Danach geht es dann weiter zum Sonnenuntergang, natürlich alles wieder Offroad, endlich wirklich zum nördlichsten Punkt des Kontinents. Punta Gallinas selbst ist relativ unspektakulär durch ein kleines Schild gekennzeichnet. Wir gehen ein Stück entlang des langen Sandstrandes und warten hier auf den nördlichsten Sonnenuntergang Südamerikas. Schon ein besonderes Gefühl, aber wir würden den Abstecher in die Wüste im Norden mehr als „der Weg ist das Ziel“ bezeichnen.

Der nördlichste Zipfel Südamerikas

Zurück in der Unterkunft nach Sonnenuntergang, gibt es Abendessen an den langen Tafeln des Aufenthaltsraums. Wir sitzen zusammen mit einem belgischen Paar, genau so alt wie wir, die mit ihrem Landcruiser durch Südamerika cruisen. Nach einem Bier geht es früh in die Hängematten. Tagsüber fanden wir den starken Wüstenwind in der Hitze noch angenehm, aber nachts wird es schnell kalt. Ann ist jetzt froh ihre Regenjacke als Windschutz mitgenommen zu haben und Max wird beim nächsten Ausflug in eine Wüste garantiert keinen Witz mehr darüber machen, warum man eine Regenjacke mit in die Wüste nehmen sollte. Die Nacht in den Hängematten ist einigermaßen okay, aber wir sind früh wach und erleben so das schöne Sonnenaufgangslicht. Nach dem Frühstück geht es dann zurück nach Uribia. Dieses Mal sind sogar noch mehr Straßensperren aktiv. Von Uribia aus nehmen wir ein weiteres Sammeltaxi gemeinsam mit dem kolumbianischen Pärchen zurück nach Riohacha. Nach insgesamt 5 Stunden Fahrtzeit kommen wir schließlich erschöpft an.

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Ein Gedanke zu “Wüstenexpedition zum nördlichsten Punkt Südamerikas

  1. Wieder einmal ein eindrucksvoller, amüsanter und lebendiger Bericht von euch. Vielen Dank für diesen tollen Start in einen sonnigen Tag in Bochum.

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